Pflanzenevolution

Kälteschutz für Zellmembranen

Eine Forschungsgruppe der Universität Freiburg und der Universität Göttingen hat einen Schutzmechanismus gegen Kälte, der bislang nur in Blütenpflanzen bekannt war, in einem Moos nachgewiesen. 

Konvergenter evolutionärer Ursprung der Regulation von Sphingolipiden. © Grafik: Jan de Vries

Ein Team um die Pflanzenbiologen Prof. Dr. Ralf Reski am Exzellenzcluster Zentrum für Integrative Biologische Signalstudien (CIBSS) der Universität Freiburg und Prof. Dr. Ivo Feussner am Zentrum für Molekulare Biowissenschaften (GZMB) der Universität Göttingen hat einen Schutzmechanismus gegen Kälte, der bislang nur in Blütenpflanzen bekannt war, in einem Moos nachgewiesen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben außerdem gezeigt, dass eine evolutionär unabhängige Entwicklung stattgefunden hat: Moose und Blütenpflanzen haben einen gleichartigen Mechanismus hervorgebracht, dem jedoch unterschiedliche Gene zugrunde liegen. Darüber hinaus schützen sie sich damit nicht nur vor Kälte, sondern auch vor Krankheitserregern. Als Modellorganismen dienten das Kleine Blasenmützenmoos Physcomitrella und die Ackerschmalwand Arabidopsis. Das Team hat seine Studie im Fachjournal „Nature Plants“ veröffentlicht.

Vor mehr als 500 Millionen Jahren haben Pflanzen damit begonnen, das Wasser zu verlassen und das Festland zu besiedeln. In der Folge entwickelten sich Moose und Blütenpflanzen aus einer gemeinsamen Urpflanze evolutionär auseinander. Beide mussten jedoch Wege finden, sich an Land vor niedrigen Temperaturen zu schützen. So ist es beispielsweise für alle Pflanzen lebenswichtig, die Fluidität ihrer Zellmembranen zu erhalten. Denn nur ausreichend flüssige Membranen ermöglichen Transportprozesse über jene Barriere, die eine Pflanzenzelle als Schutzhülle umgibt. Bei sinkender Temperatur jedoch verfestigt sich die Membran und wird weniger durchlässig, was die Zellfunktionen beeinträchtigt. Die Pflanzen können allerdings gegensteuern: Ihre Zellmembranen enthalten Lipide, die unter anderem aus Fettsäuren bestehen. Je mehr ungesättigte Fettsäuren diese Lipide aufweisen, desto niedriger ist die Temperatur, bei der sich die Membran verfestigt.

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Das Forschungsteam aus Freiburg und Göttingen hat ein neues Protein identifiziert, das in Moosen für die Regulierung der Fluidität eine wesentliche Rolle spielt: Es beeinflusst den Sättigungsgrad der Fettsäuren bei einer Gruppe von Membranlipiden, den so genannten Sphingolipiden. Die Pflanzen, in denen das Gen, das für die Bildung dieses Proteins verantwortlich ist, ausgeschaltet wurde, haben empfindlicher auf Kälte reagiert. Zugleich waren sie anfälliger für Oomyceten – mit Algen verwandte fadenförmige Organismen, zu denen Erreger von Pflanzenkrankheiten wie dem Falschen Mehltau und der Kartoffelfäule zählen.

„Sphingolipide sind wichtige Bausteine der Zellerkennung und Signalleitung in Menschen, Tieren und Pflanzen. Wir haben im Moos einen bisher unbekannten Regulator dieser Sphingolipide entdeckt und gezeigt, dass er auch in einer Blütenpflanze funktioniert. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten der synthetischen Biologie“, erläutert Reski. Feussner ergänzt: „Unsere Arbeiten zeigen, dass Moose und Blütenpflanzen im Laufe der Evolution unterschiedliche Wege beschritten haben, um auf gleichartige Weise die Membranfluidität bei Kälte zu justieren. Es handelt sich hierbei um ein beeindruckendes Beispiel von Konvergenz in der Pflanzenevolution auf molekularer Ebene.“

Woher Moose dieses spezielle Gen haben, ist ungeklärt. Das Team fand es noch in den Genomdaten bisher wenig untersuchter Pilze, Kragengeißeltierchen, Kieselalgen und einer kleinen Gruppe einzelliger Algen.

Originalpublikation:
Hanno Christoph Resemann, Cornelia Herrfurth, Kirstin Feussner, Ellen Hornung, Anna K. Ostendorf, Jasmin Gömann, Jennifer Mittag, Nico van Gessel, Jan de Vries, Jutta Ludwig-Müller, Jennifer Markham, Ralf Reski, Ivo Feussner (2021): Convergence of sphingolipid desaturation across over 500 million years of plant evolution. In: Nature Plants. DOI: 10.1038/s41477-020-00844-3

Quelle: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau 

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