Simulationssoftware beschleunigt Entwicklung

Molekularbiologisches Messgerät

Schnelle Ergebnisse sind gefragt, wenn Ärzte vor der Frage stehen, ob Patienten tatsächlich umgehend auf die Isoliersstation müssen, und gefährliche Erreger die Menschen in der Umgebung bedrohen. Molekularbiologische Nachweise in 1 h zu erhalten, kann Leben retten. Simulationen beschleunigen die Entwicklung der dafür nötigen Messgeräte und reduzieren auch die Konstruktionskosten.

Zwölf Röhrchen, ein mit sechs Wellenlängen messender, äußerst sensitiver, aber kleiner Detektor und eine Umgebung, deren Temperatur vollkommen homogen bleibt: Um die Fluoreszenz inkubierter Proben zuverlässig zu messen, dürfen die Temperaturen in der 4 kg schweren kleinen Box höchstens um 0,5 °C schwanken. Diese geringe Abweichung zu erreichen, fiel nicht leicht. „Die erste Generation der Tubescanner brachte zwar sehr zuverlässige Ergebnisse, wir konnten jedoch nicht im gleichen Maßstab Temperaturstabilität garantieren“, sagt Entwickler Christian Fischer-Rasokat vom Biotechnologie-Hersteller Qiagen aus Stockach am Bodensee. Der Aluminiumblock, in dem die Teströhrchen stecken, muss befestigt werden. Genauso die beiden kleinen Heizgeräte und der Prozessor. Doch jede Schraube bildet eine Wärmebrücke.

Um die Probleme des ersten, noch nicht zufriedenstellenden Konstruktionszyklus zu lösen und möglichst wenige Prototypen anfertigen zu müssen, entschieden sich der Projektleiter und sein Team für thermische Simulationen. Denn ausschlaggebend für das schnelle, exakte Ergebnis der molekularen Untersuchungen, etwa von Viren- oder Bakterien-DNA und –RNA, ist das Vervielfältigen der Nukleinsäuren. Dafür benötigen die Enzyme bestimmte Temperaturen: „Bei der isothermalen Amplifikation findet die Vervielfältigung je nach Methode bei einer bestimmten konstanten Temperatur statt, die sich beim TS2 zwischen 15...95 °C einstellen lässt“, erklärt der Qiagen-Mitarbeiter vom Bodensee. So entsteht die benötigte Konzentration, um zuverlässig bis zu sechs Wellenlängen der fluoreszierenden Farbstoffe zu messen.

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Welche Konzentration und Enzymkinetik vorliegt, lässt sich über die Fluoreszenz bestimmen.

Simulationsexperte
„Es gibt nur sehr wenige Ingenieurbüros in Europa, die auf thermische Simulationen spezialisiert sind. Denn Thermodynamik ist ein komplexes Thema. Unsere Entscheidung fiel sehr bald auf Wenger Engineering aus Ulm“, sagt Fischer-Rasokat. Deren Berechnungen zur Temperaturverteilung in einem ersten Prototyp des TS zweiter Generation stimmten auf Anhieb mit den Qiagen-Messungen überein. Das überzeugte die Entwickler von der Zuverlässigkeit der Berechnungsergebnisse der Wenger-Simulationen.

Die Vorentwicklung hatte bereits viel Zeit gekostet. Deshalb blieben dem Ulmer Simulationsexperten nur vier bis fünf Wochen Zeit, um die Geometrie des TS2 aufzubereiten und zu vernetzen, den Einfluss verschiedener Materialien zu untersuchen, durch verschiedene Simulationsszenarien die physikalischen Schwachstellen zu finden und schließlich Lösungen vorzuschlagen.

Der Tubescanner erfasst in Echtzeit die isothermische Vervielfältigung etwa von RNA und DNA aus Bakterien.

Temperatur als Schlüssel
Verfahrenstechniker David Wenger nutzte dafür die Simulationssoftware Comsol Multi-physics. „Diese Software war für die Aufgabenstellung ideal, weil sich mit ihr multiphysikalische Vorgänge in Raum und Zeit darstellen lassen“, erklärt der promovierte Ingenieur. Die Kunst, aussagekräftige Simulationen zu erstellen, besteht für ihn jedoch vor allem in Einem: „Wir müssen die richtigen Fragen stellen, um das Problem unserer Kunden genau zu erfassen. Nur so können wir aus ihren praktischen Problemen abstrakte mathematische Fragestellungen ableiten und diese mit unseren Berechnungen beantworten.“

Tatsächlich wissen seine Kunden oft nicht, worin das eigentliche Problem besteht. Sie stellen beispielsweise nur fest, dass sich die gewünschten Messgrößen nicht erzielen lassen. Im Falle des TS2 ging es darum, gleichmäßige Reaktionen in der Box zu erreichen. Die Temperatur war dafür der Schlüssel. „Wir haben mathematisch die kritischen Stellen identifiziert und die Simulation systematisch mit Entwicklungsmethoden wie TRIZ kombiniert, um eine perfekt homogene Wärmeverteilung zu erreichen“, berichtet Wenger.

Dank des multiphysikalischen und interdisziplinären Ansatzes ließ sich der TS2 nun temperaturstabil konzeptionieren. So bildet sich heute in der Box innerhalb 1 h der perfekte Nährboden für die gewünschte molekularbiologische Reaktion für das Vervielfältigen von Nukleinsäureabschnitten, um bestimmte Krankheitserreger nachzuweisen. „Das Bild, das bei der Simulation entsteht, lädt regelrecht dazu ein, in viele Richtungen zu denken und so das Problem neu zu begreifen. So wird der Entwicklungsprozess noch zielgerichteter und vermeidet langes Spekulieren über mögliche Ursachen und Wirkungen“, erklärt Geschäftsführer Wenger.

So groß wie eine Taschentücher-Schachtel, passt der Tubescanner in jedes Labor und jede Praxis.

Entwicklungskosten sparen
Wenger verdeutlicht dies noch an einem anderen Beispiel: „Sie möchten einen vierfüßigen Stuhl aus möglichst wenig Material herstellen. Er soll gleichzeitig ein bestimmtes Gewicht aushalten.“ Verschiedenste Prototypen zu bauen, um sich dem idealen Stuhl allmählich anzunähern, führe zwar auch zu einem Ergebnis. Durch Simulationsberechnungen gehe es aber deutlich schneller und effizienter.

Wengers Expertise ist jedoch weniger bei Schreinern gefragt. Zu seinen weltweiten Kunden gehören unter anderem Automobilbauer sowie Energie-, Elektronik- oder Chemiekonzerne. „Im Schnitt sparen wir Herstellern ein Vielfaches der Kosten für die Simulation ein - sei es in der Entwicklung oder auch im späteren, energieeffizienteren Betrieb der Anlagen“, sagt der Ulmer selbstbewusst.

Vor allem für Ärzte und Kliniken konzipiert
Das Optimieren hat sich auch beim TS2 gelohnt: Das Messgerät funktioniert wie berechnet. Der Biotechnologie-Konzern arbeitet zusammen mit einem Kunden aus der Medizintechnik noch am Feinschliff und wird es in Kürze auf den Markt bringen. „Durch die Optimierung arbeitet das Gerät zuverlässiger“, sagt der Entwickler.

Wie gleichmäßig die Temperatur im Tubescanner verteilt ist, zeigt dieser Querschnitt, entnommen einer Simulation mithilfe des Programms Comsol Multiphysics.

20 x 20 x 13 cm ist der mit vier USB-Ports und Netzwerk-Schnittstelle ausgestattete Tubescanner vor allem für Kliniken, Labore und Arztpraxen gedacht: Bei der Blutabnahme oder Speichelprobe beim Arzt mischt die Laborantin die Flüssigkeit in einem Messtube mit bestimmten Reagenzien und setzt das Röhrchen danach in das Gerät ein. Daraufhin laufen die Funktionen ab: Die Umgebung heizt auf und das Rohsignal vom Detektor wird mathematisch zu einem Ergebnis verarbeitet, das dann auf dem Touchdisplay erscheint.

Der kleine Detektor ist dabei der ganze Stolz der Entwickler: Anders als die wenigen Mitbewerber könne er statt bis zu drei sogar bis zu sechs Wellenlängen messen. „Der Markt ist noch jung, wächst aber stetig“, sagt Fischer-Rasokat. Und der Tubescanner 2 bringt beste Voraussetzungen mit, um darin eine entscheidende Rolle zu spielen.

Autorin:
Daniela Reichart, Freie Journalistin
73084 Salach
E-Mail: daniela.reichart@gmail.com

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