Editorial
Vorsprung durch REACh?
Fast 6 Jahre nachdem die EU-Kommission ihr Weißbuch zur Neuordnung der europäischen Chemikalienpolitik vorgelegt hat, wurde das Gesetzeswerk nun endlich im Dezember verabschiedet. Die Rede ist von der unter dem Kürzel REACh bekannt gewordenen Verordnung, die nun im Juni dieses Jahres in Kraft tritt. REACh steht für „Registrieren, Evaluieren und Autorisieren von Chemikalien“ und ist für alle EU-Mitgliedsstaaten bindend. Im Kern geht es darum, rund 30000 so genannte „Altstoffe“ auf eventuelle Risiken für Gesundheit und Umwelt zu untersuchen und bei der europäischen Chemikalienbehörde in Helsinki zu registrieren. Die Chemikalien, die von der neuen Verordnung betroffen sind, wurden bereits vor 1981 erstmals in Verkehr gebracht und unterlagen deshalb bisher noch nicht der Vorschrift zur behördlichen Registrierung wie die „Neustoffe“.
Mit REACh soll dies nun anders werden. Das neue Gesetz verpflichtet die produzierenden Unternehmen, nicht nur Datensätze im Hinblick auf das Gefahrenpotenzial der einzelnen Substanzen zu liefern, sondern auch mögliche Risiken für Umwelt und Gesundheit abzuschätzen und Maßnahmen für den sicheren Umgang mit dem Stoff festzulegen. Dies ist insofern neu, als dass die letzten beiden Punkte bisher primär Aufgabe der Behörden waren. Wie intensiv die einzelnen Stoffe überprüft werden müssen und wie genau die europäische Chemikalienagentur die eingereichten Daten evaluiert, hängt zunächst einmal von der jährlich in Verkehr gebrachten Menge ab. Je mehr Jahrestonnen eines Produktes hergestellt werden, desto umfassendere Datensätze müssen geliefert und damit umso umfangreichere Tests durchgeführt werden. In jedem Falle jedoch schreibt REACh für cancerogene, mutagene und reproduktionstoxische Stoffe oder für solche, die sich in der Umwelt anreichern, eine Zulassung (Autorisierung!) vor. Anders ausgedrückt: Die Behörden können die Herstellung und Verwendung eines solchen Stoffes einschränken oder gar komplett untersagen. Dies dürfte insbesondere dann geschehen, wenn geeignete Ersatzstoffe existieren, die verträglicher für Mensch und Natur sind. REACh gilt übrigens auch für Importeure, die Chemikalien aus Nicht-EU-Ländern einführen.
Welche Konsequenzen wird die neue Verordnung mit sich bringen? Wegen der Komplexität von REACh muss sich die Chemieindustrie auf einen ausufernden Papierkrieg einstellen. Und natürlich auch auf höhere Kosten durch die notwendigen Tests, was zweifellos die Wettbewerbsfähigkeit im globalen Vergleich mindert. Insbesondere Mittelständler – und gerade die sind typisch für die deutsche Chemielandschaft – dürften sich mit REACh schwer tun. Hier könnten Consultants und Auftragslabors in die Bresche springen, die die neue Verordnung wohl aus einem ganz anderen Blickwinkel sehen als die Industrie. Eine weitere Konsequenz von REACh ist die Zunahme von Tierversuchen. Allerdings schreibt die Verordnung vor, dass – wo immer möglich – validierte Alternativmethoden eingesetzt werden sollen. Für Forschungen in diese Richtung hat die EU übrigens rund 80 Mio. Euro zur Verfügung gestellt.
Auch wenn das neue Gesetz zunächst einmal Geld, Zeit und Nerven kosten wird: REACh macht europäische Chemieerzeugnisse sicherer und fördert zudem die Innovationsfähigkeit der Unternehmen, da sie für besonders umwelt- und gesundheitsgefährdende Substanzen Ersatz schaffen müssen. Bleibt zu hoffen, dass dies der europäischen Chemieindustrie langfristig gesehen doch einen Vorsprung im globalen Wettbewerb verschafft. Angesichts der zunehmenden Weltbevölkerung dürfte früher oder später auch in den übrigen Re- gionen der Welt der Ruf nach sicherer Chemie laut werden.