Life Sciences Innovations

Münchner Biotech-Cluster m4

Erste Adresse für personalisierte Medizin
Bild 3: Pipeline von Corimmune GmbH, Martinsried, einer gemeinsamen Ausgründung der Unis Tübingen und Würzburg (Foto: Corimmun).

Richard E. Schneider*)

  1. Freier Wissenschaftsjournalist, Brunnenstr. 16, 72074 Tübingen, Tel. 07071/253015.
Im Großraum München laufen derzeit über 30 Forschungsprojekte zur personalisierten Medizin. Die meisten werden aus dem mit 40 Mio. Euro gefüllten Sieger-Topf von m4, dem Cluster-Sieger 2010 des BMBF, unterstützt. Jedoch 60 % der entstehenden hohen F&E-Kosten decken die beteiligten Biotech-Firmen selbst.


Der über 20 Jahre alte Biotech-Cluster München firmiert inzwischen unter m4. Die damals im Umfeld des Max-Planck-Instituts für Biochemie in Martinsried als Start-ups gegründeten oder neu aufgestellten Biotech-Unternehmen sind längst auf die Erfolgsspur gewechselt. So wird der Antikörper-Spezialist Morphosys Ende 2011 erstmals die 100 Mio. Euro-Umsatzgrenze überschreiten.

Das Gesamtbudget für Biopharmazeutika erreichte im Berichtsjahr 2010 in Deutschland laut VFA (Verband der Forschenden Arzneimittel-Hersteller e.V.) bereinigt um den Zwangsrabatt 4,9 Mrd. Euro (+ 8 %). Bereits sechs von 22 der im letzten Kalenderjahr neu zugelassenen Medikamente waren Biopharmazeutika (Anteil: 22 %).

Die Besten finden und fördern

Das Kürzel m4 steht für „personalisierte Medizin und zielgerichtete Therapien.“ Ihnen gilt das heutige Augenmerk. Nicht zuletzt dank der am 18.7.2011 vom Bayerischen Wirtschaftsministerium verliehenen „Awards“ befindet sich die personalisierte Medizin in Bayern in einer deutlich schnelleren Vorwärtsbewegung. Die „Award“-Preise werden von BioM sowie dem Netzwerk Nordbayern ausgelobt, Partner sind die Technologie Transferstelle der LMU (Ludwig-Maximilians-Universität), der TUM (Technische Universität) München, des Helmholtz-Zentrums, München, der Max-Planck-Gesellschaft (MP-Innovation, München) sowie der Bayerischen Patentallianz. Jeweils 500 000 Euro Forschungsförderung für die nächsten beiden Jahren erhalten fünf ausgewählte Wissenschaftler-Teams, die sich speziell mit marktnahen Projekten aus dem Bereich personalisierte Medizin befassen.

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Aufgrund neuer Erkenntnisse zu genetischen oder molekularen Ursachen von Erkrankungen sollen neue, auf bestimmte Patientengruppen zugeschnittene Therapien entwickelt werden. Dabei spielt die Früh-Diagnostik auf genetischer Grundlage eine wesentliche Rolle, speziell die Biomarker.

Welche ethischen Belange bei den behandelnden Ärzten, Krankenkassen und Angehörigen von Patienten zu berücksichtigen sind und welche Patienten- und Menschenrechte bei der personalisierten Medizin involviert oder impliziert werden, wurde auf einer gemeinsamen Tagung der Spitzenforscher des Clusters m4 mit Vertretern des Instituts Technik-Theologie-Naturwissenschaften der LMU am 6. 6. 2011 in München erörtert. Man war sich einig, dass der Terminus „genetische Risikoperson“ nicht allgemein eingeführt werden dürfe; bei genetischer Prädisposition müsse jedoch gezielt Prävention – ohne „Diktat“ der Krankenkassen! – betrieben werden. Kein biologischer Determinismus (keine 100%ige Sicherheit!) und keine generelle „Genotypisierung“ des Menschen lauteten weitere ethische Forderungen der Tagungsteilnehmer.

Hier eine Übersicht über die im Juli 2011 preisgekrönten Arbeiten des Clusters m4-“personalisierte Medizin und zielgerichtete Therapie“: Dr. Felix Hausch (MPI Psychiatrie), München, nutzt neue Zielmoleküle für die Entwicklung eines Medikaments gegen Depressionen. Ausgangspunkt ist das Protein FKBP51, das die Stressantwort reguliert und bei der Auslösung von Depressionen sowie Stress-induzierten Erkrankungen eine wesentliche Rolle spielt. Tierexperimentelle Vorarbeiten zeigten, dass eine Reduzierung dieses Proteins zur Normalisierung der von Hormonen ausgelösten Stressreaktionen sowie der Depressions-assoziierten Krankheits-Symptome führt. Dr. Hauschs Team kennt den atomaren Aufbau des Proteins FKBP51 en detail und kann nun gezielt Wirkstoffe entwerfen, die dessen Aufbau selektiv hemmen. Die neuen Anti-Depressiva könnten bei der Kombinationstherapie der Depression eingesetzt werden.

Oberarzt Dr. Oliver Ritters Team (Uni Würzburg) entdeckte einen Wirkstoff, der bei Herzmuskelschwäche nicht an der Oberfläche, sondern im Zellinnern den Schaden eindämmen kann. Krankheitssymptome können deutlich gemildert und Nebenwirkungen reduziert werden, berichtete Team-Mitarbeiter Dr. Martin Szolbe. In Zelllinien im Labor sowie in Tierversuchen erwies sich der neue Wirkstoff als brauchbar und wirksam. Nun will das Würzburger Team ein Unternehmen gründen, um das neue Medikament gegen Herzinsuffizienz zu vermarkten.

Aber auch die anderen Gewinner des m4-Awards können sich sehen lassen: Prof. Karl-Peter Hopfner, Genzentrum der LMU, zeigte neue Wege zur Herstellung von dreiarmigen, personalisierbaren Antikörpern gegen spezielle, schwer bekämpfbare Formen von Leukämie auf. Prof. Dolores Schendel, Helmholtz-Zentrum, München (HZM), entwickelt eine individualisierte, zelltherapeutische Impfung auf der Basis Dendritischer Zellen gegen Prostatakrebs. Schließlich stellte Dr. Joel Schick, ebenfalls HZM, ein neues Testsystem zur Wirksamkeits-Prüfung von neuen pharmakologischen Substanzen zur Alzheimer- und Parkinson-Therapie vor. Medikamenten-Kandidaten werden auf ihre protektive Wirkung getestet, indem Zellen, denen bestimmte Gene fehlen und die deshalb besonders viel reaktiven Sauerstoff bilden, eingesetzt werden. Diese Zellen sterben ab, wenn die tödlichen Signal-Kaskaden nicht durch einen Wirkstoff effektiv gehemmt werden.

Allen fünf Sieger-Teams winken zusätzlich maximal 30 000 Euro für Beratungs-Dienstleistungen, die sie für ihre Projektentwicklung sowie für Vorbereitungsmaßnahmen zur Unternehmensgründung ausgeben dürfen.

Forschungsschwerpunkt Kardiologie

Die Forschungsprojekte im Cluster m4 „personalisierte Medizin und zielgerichtete Therapien“ sind auf die Schwerpunkte Kardiologie, Immunologie und Onkologie ausgerichtet. Mindestens ein Biotech- bzw. Industrie-Unternehmen bildet mit einer akademischen Forschungsgruppe ein Projekt-Team. Die benötigten Geldmittel stellen mit dem Schlüssel 40 : 60 das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Berlin, sowie das beteiligte Unternehmen selbst bereit. Nun ein Blick auf die wesentlichsten laufenden Arbeiten im Bereich Kardiologie:

Das Biotech-Unternehmen Corimmun brachte kürzlich den Wirkstoff COR-1 bei chronischem Herzversagen (Herzinsuffizienz) in die klinische Phase der Erprobung. Die neue Substanz, ein therapeutisches Zyklopeptid, neutralisiert nach dem Konzept der personalisierten Medizin Anti-ß1-Antikörper (adrenerge Rezeptoren), die von 30 % einer Hochrisikogruppe produziert werden. Das innovative Medikament COR-1 ist somit maßgeschneidert für diese beschriebene Untergruppe herzinsuffizienter Patienten, die eine deutlich schlechtere Überlebenschance im Vergleich zu den übrigen Patienten mit chronischem Herzversagen hat. Die Hochrisiko-Patienten mit den Anti-ß1-Antikörpern können mithilfe einer Screening-Methode („Companion Bio-Assay“) leicht identifiziert werden. Im Tierversuch konnte COR-1 bei einmaliger monatlicher i.v.-Gabe eine spezifische Schädigung des Herzens durch Anti-ß1-AR-Ak verhindern. Eine bereits manifeste Herzschädigung konnte im Behandlungs-Zeitraum 3...6 Monate komplett ausheilen.

Die bereits abgeschlossene Phase-I-Prüfung mit 50 freiwilligen Probanden zeigte, dass COR-1 in fünf Dosisgruppen von 10...240 mg gut vertragen wurde und keine Nebenwirkungen auftraten. In den beiden höchsten Dosierungen zeigte sich eine nahezu komplette Inaktivierung der Anti-ß1-Antikörper. Ziel der jetzt, d.h. noch 2011 beginnenden Phase-II-Studie ist die Erprobung von COR-1 mit seinem hochspezifischen Zyklopeptid-Wirkstoff an herzinsuffizienten Patienten. Diese werden durch ein spezielles Vorscreening ausgewählt, das die Therapie-Ansprechrate deutlich verbessern soll, zumal bei den bisher zur Verfügung stehenden Medikamenten die Nicht-Ansprechrate („No Responder“) besonders hoch ist.
Beteiligt sind neben dem Medikamentenentwickler Corimmun GmbH, Martinsried, einem 2006 gegründeten Spezialisten für die Herstellung peptidischer Wirkstoffe zur Behandlung von Thrombosen und Herzinsuffizienz, die 1. Med. Klinik der LMU sowie die 1. Med. Klinik der Uni Würzburg mit deren Rudolf-Virchow-Zentrum. Die nötigen Mittel für die Durchführung der Studie sicherte sich Corimmun bereits im letzten Jahr mit einer Finanzierungsrunde, die 7,45 Mio. Euro einbrachte.

Ebenfalls zur personalisierten Medizin ist das Vorhaben des Klinikums der LMU zu rechnen, eine Strategie zur Beurteilung von Medikamenten-induzierten Arrhythmien zu entwickeln. Herzrhythmus-Störungen nach Medikamenten-Gaben sind oft schwerwiegende und lebensbedrohliche Ereignisse für den Patienten. Treten sie bei klinischen Studien auf, kann dadurch das Drug Safety Assessment, d.h. die Beurteilung der Medikamenten-Sicherheit, entscheidend beeinflusst werden. Um die genetische Suszeptibilität von Herzrhythmusstörungen besser evaluieren zu können, will das Forscher-Team von LMU und Helmholtz-Zentrum München eine Genom-weite Assoziatiationsstudie (GWAS) in ausgewählten Patienten mit nachgewiesenen Arrhythmien im Rahmen von Medikamenten-Gaben durchführen. Die an Arrhythmien beteiligten Gene und genetischen Regulationselemente sollen identifiziert werden. Die neu aufgefundenen Risikofaktoren werden danach mit bekannten EKG-Risikofaktoren korreliert. Die Kombination beider Methoden wird die Risiko-Vorhersage von Arrhythmien im Rahmen klinischer Studien und des Drug Safety Assessment verbessern. Die Ergebnisse werden auch den Cluster m4-Partnern zur Verfügung gestellt. Die Bioproben der Arrhythmie-Patienten werden vom Klinikum Großhadern bezogen, die Arrhythmie-freien Probanden werden im Rahmen der Bevölkerungs-basierten KORA-Studie rekrutiert.

EKG-Marker für Koronare Herzkrankheit (KHK), Herzmuskel-Verdickung sowie plötzlichen Herztod sind bereits bekannt. Mit ihrem Industriepartner Biosigna GmbH sind die Medizin-Forscher von LMU und HZM überzeugt, dass die Zukunft den Biomarkern aus einem Mix von Genetik und EKG gehört. Sie suchen derzeit weitere klinische Studien, die sie in die von Biosigna GmbH erstellte EKG-Plattform integrieren können. EKG-Daten aus verschiedenen Studien und -Zentren können dadurch vereinheitlicht mit einem Algorhythmus erhoben werden. Die Daten und automatischen Befunde werden über das Internet einem Kardiologen zur Prüfung vorgelegt. Auf dieser Weise könnten EKG-Datenerhebungen standardisiert, überwacht und archiviert werden, wie Prof. Stefan Kääb, Kardiologe an der LMU, sagte.

Onkologie und Immunologie

In Zusammenfassung hier noch weitere Cluster m4-Projekte: Gemeinsam mit den beiden Biotech-Unternehmen multimmune GmbH, München, und GENEART AG, einem Spin-off der Uniklinik Regensburg, entwickelt die Radio-Onkologin Frau Prof. G. Multhoff, TU München, gemeinsam mit den Radio-Onkologischen Abteilungen der Unikliniken Frankfurt/Main und Erlangen (FAU) eine Anzahl tumorspezifischer und Tumor-assoziierter Marker wie Hsp70 (mit der TUM), HMBG1, AnnexinA5 (mit der FAU) und Survivin (mit der JWGU). Diese Marker werden zeitgleich im Tumorgewebe identifiziert und geben Aufschluss über eine Zu- oder Abnahme des Tumors, den Therapie-Verlauf sowie eine Prognose.

Schließlich züchtet gegenwärtig das Biotech-Unternehmen SpheroTec GmbH im Reagenzglas das „Spheroid Microtumor Model“, mithilfe dessen neue Biomarker für einzelne Tumorstadien gefunden werden sollen. Die identifizierten Biomarker sollen die Tumor-Bekämpfung und -Therapie stärker individualisieren. Weitere Projekt-Partner werden noch gesucht.

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