Forschung für die Medizin
Translationsprozesse in vitro untersuchen
Krankhafte Prozesse zeichnen sich in der Regel durch eine veränderte Genaktivität in den betroffenen Zellen aus. Daher sind mit Blick auf Therapieentwicklung oder auch Therapie-Erfolgskontrolle Methoden und Verfahren interessant, die detaillierte Auskünfte über die genetische Aktivität einzelner Zellen liefern. Ein Forschungsteam der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) hat hierzu ein Verfahren entwickelt, das es im Fachmagazin Nucleic Acids Research vorstellt. Daran beteiligt waren Wissenschaftler des Instituts für Molekulare Infektionsbiologie (IMIB) und des Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI).
„Wir haben ein Verfahren entwickelt, mit dem es möglich ist, die Translationslandschaft eines vollständig anpassbaren synthetischen Transkriptoms, das heißt: außerhalb der Zelle, zu analysieren“, erläutert Jörg Vogel das zentrale Ergebnis der Studie. Vogel leitet das Institut für Molekulare Infektionsbiologie der JMU und ist zudem Direktor des HIRI sowie Hauptautor der Studie. „INRI-seq“ lautet der wissenschaftliche Name des entwickelten Verfahrens – eine Kurzform von „in vitro Ribo-seq“. Unter Transkriptom ist die Gesamtheit aller Gene zu verstehen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle aktiv sind. Es besteht aus der Summe der vorhandenen mRNA – den Transporteuren der Baupläne für Proteine aus dem Zellkern hin zu den Ribosomen, an denen die Translation stattfindet – die Übersetzung der Nukleotidsequenz der mRNA in die Aminosäuresequenz eines Proteins.
Weiterentwicklung vergleichbarer Methoden
INRI-seq ist im Prinzip eine Weiterentwicklung vergleichbarer Methoden, die das gleiche Ziel verfolgen. So ermittelt beispielsweise die sogenannte RNA-Sequenzierung (RNA-seq) die Konzentration von mRNA in Zellen und lässt damit Rückschlüsse auf die jeweils aktiven Gene zu. Allerdings korreliert die endgültige Proteinhäufigkeit nicht immer mit den jeweiligen mRNA-Konzentrationen. Genauer arbeitet die Ribosomen-Profilierung (Ribo-seq), die sich in den vergangenen zehn Jahren zu einer der wichtigsten Methoden entwickelt hat, um die Proteinsynthese direkt und transkriptomweit zu messen. „Die Ribo-seq-Methode hat die Erforschung von translatorischen Prozessen zwar erheblich vorangebracht, ist aber ebenfalls nicht ohne Einschränkungen“, sagt Jörg Vogel. Beispielsweise sei es eine große Herausforderung, Gene mit geringer Aktivität mit Ribo-seq zu detektieren, so dass viele Gene in den üblichen Studiendesigns nicht erfasst werden. Auch die Ribo-seq-Untersuchung von Mikroben aus wichtigen ökologischen Lebensräumen wie beispielsweise dem menschlichen Darm sei schwierig, da viele von ihnen nicht im Labor kultiviert werden können.
Themen im Artikel
Vogel merkt zudem an: „Auf mechanistischer Ebene können Ribo-seq-basierte Studien an Molekülen, die die Translation beeinflussen, wie beispielsweise spezielle Antibiotika, durch zelluläre Reaktionen behindert werden.“ Da Ribo-seq an lebenden Zellen durchgeführt wird, könne es somit schwierig sein, direkte und indirekte Auswirkungen auf die Translation zu unterscheiden. Um einige dieser Einschränkungen zu überwinden, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Würzburg INRI-seq für die globale Untersuchung der Translation in einer zellfreien Umgebung entwickelt. INRI-seq arbeitet mit einem kommerziell erhältlichen In-vitro-Translationssystem in Kombination mit einem in vitro synthetisierten, vollständig anpassbaren Transkriptom, das eine bessere Kontrolle der einzelnen mRNA-Spiegel möglich macht. „Mit INRI-seq ist es beispielsweise nicht mehr erforderlich, dass translationsmodulierende Substanzen die Zellmembranen durchdringen und Ribosomen aus einer großen Anzahl lebender Zellen extrahiert werden“, schildert Vogel die Vorteile des Verfahrens. „Man braucht auch viel weniger an der oft teuren Substanz, die man untersuchen will, zum Beispiel ein neues Antibiotikum, das nur in kleinem Maßstab hergestellt werden kann. INRI-seq spart also auch Kosten und Zeit.“
Wie gut das System funktioniert, hat das Forschungsteam an einem synthetisch erzeugten Transkriptom des Bakteriums Escherichia coli demonstriert. Im Vergleich zu einer technisch vergleichbaren Studie an lebenden Zellen identifizierte INRI-seq fast viermal mehr Stellen, an denen Translationsprozesse starten. Dementsprechend ist für Vogel und sein Team klar: „INRI-seq hat großes Potenzial als eine alternative Methode zur Untersuchung von Translationsprozessen und damit auch von Substanzen, die diese Prozesse beeinflussen können.“
Originalpublikation: INRI-seq enables global cell-free analysis of translation initiation and off-target effects of antisense inhibitors. Jens Hör, Jakob Jung, Svetlana Ðurica-Mitić, Lars Barquist, Jörg Vogel. 2022 Nucleic Acids Research 2022, DOI:10.1093/nar/gkac838
Quelle: Julius-Maximilians-Universität Würzburg