Fachbeitrag

Vorteile im Verbund

BioRegion Rhein-Neckar Sieger beim Biocluster-Wettbewerb
Bild 2: Tumorspezifische DNA-Sequenzen, gewonnen durch Gel-Elektrophorese (Foto: Merck).

Richard E. Schneider*)

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  1. Freier Wissenschaftsjournalist, Brunnenstr. 16, D-72074 Tübingen, Tel. 07071/253015.
Die Bio-Europe Partnering 2008 in Mannheim vom 17. bis 19.11.2008 nutzten die Pharma-Branchenriesen Roche, Merck Serono und Abbott zur Mitteilung an die Fachwelt, dass sie im Rahmen des siegreichen Bio-Clusters Rhein-Neckar noch enger zusammen arbeiten und ihre Forschungsaktivitäten bündeln wollen.

Nicht Konkurrenz um jeden Preis, sondern Kooperation ist in der noch jungen Biotech-Branche weiter angesagt. Im Jahr 2007 stieg hier der Umsatz der ausschließlich auf Biotechnologie-Produkte und -Dienstleistungen spezialisierten Unternehmen auf knapp über 2,1 Mrd. Euro. Immerhin gehört die Biotechnologie zu den 17 Innovationsfeldern der 2006 beschlossenen High-Tech-Initiative der Bundesregierung. Deren Zuschüsse für FuE-Projekte stiegen von 176,5 Mio. Euro (2004) über 223,6 Mio. Euro (2006) auf voraussichtlich 234,9 Mio. Euro im abgelaufenen Jahr. Gefördert werden Einzelunternehmen, zukunftsöffnende, auf andere Forschungsgebiete übergreifende Projekte, Biotech-Firmenkooperationen wie auch die regionale Zusammenarbeit in Bio-Regionen bzw. Bio-Clustern.

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Nach Auskunft des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller (VfA) hat der deutschlandweite Umsatz mit Medikamenten aus Biotech-Laboren bereits die 4-Mrd.-Euro-Schwelle überschritten. Doch keines der neuen Medikamente wie biotechnologische Impfstoffe oder rekombinante Proteine zur Behandlung chronischer, schwerer oder seltener Erkrankungen wurde in Deutschland entwickelt. Deshalb rief das Bundesforschungsministerium (BMBF) im Jahr 2007 die Pharma-Initiative für Deutschland ins Leben. Ein wichtiges Strukturelement daraus war der BioPharma-Strategie-Wettbewerb, in dessen Rahmen erfolgversprechende Kooperationen von Firmen oder Firmenverbünden mit öffentlichen Forschungseinrichtungen ausgezeichnet wurden. Aus zehn Finalisten, die jeweils zur Präsentation ihrer Forschungsstrategie und –projekte Anfang 2008 bis 100 000 Euro erhielten, wurden Ende September drei Sieger ausgewählt: Das neue Max-Planck Drug Discovery & Development Center, die NeuroAllianz und Neu2. Bis zum Jahr 2013 erhalten diese drei vom BMBF insgesamt 100 Mio. Euro. In einer ersten Runde erhielt jedes Firmen-Team 20 Mio. Euro. Über die Zuteilung der verbleibenden 40 Mio. Euro werden die Experten des BMBF nach Ablauf von drei Jahren entscheiden. Das neue Max-Planck Drug Discovery Center ist bemüht, neue biomedizinische Forschungsergebnisse aus den Max-Planck-Instituten schneller dem Markt zuzuführen und wird hierfür zum Jahr 2009 mit der neu gegründeten Development GmbH einen Investitionsfonds besitzen, der 100 Mio. Euro schwer ist. Das Fundraising übernimmt Inventure Capital, London.
Ebenfalls 20 Mio. Euro Preisgeld aus der BioPharma-Initiative erhält das Konsortium NeuroAllianz, Bonn, ein Public-Private-Partnership mit dem Pharmaunternehmen Schwarz-Pharma. Hier liegt der Schwerpunkt bei der Diagnose- und Therapieforschung neurodegenerativer Erkrankungen. Auch beim dritten Gewinner von 20 Mio. Euro, dem Kooperationsverbund Neu2, arbeitet ein öffentliches Forschungsinstitut (Uniklinik Hamburg-Eppendorf) mit einem Biotech-Unternehmen (Evotec) sowie einem großen privaten Pharma-Hersteller (Merck Serono, Darmstadt) zusammen. Hier soll aus einem Fonds, den das Unternehmen bionamics verwaltet und in den die Merck KG a.A. sowie die IBP AG mit der Deutschen Bank als Kapitalgeber Gelder einschießen, ein risikofinanziertes Portfolio für Life-Science-Projekte aufgebaut werden. Dabei wird man sich zunächst auf eine Indikation der neurologischen Erkrankungen, die Multiple Sklerose, konzentrieren.

Partner in der Bio-Region Rhein-Neckar

Im letzten Jahr wurde die Bio-Region Rhein-Neckar als beste aller Biotech-Regionen Deutschlands mit einem Forschungspreis von 40 Mio. Euro ausgezeichnet. Gewonnen haben das Cluster „Forum Organic Electronics“ sowie das Cluster „Zellbasierte und Molekular-Medizin.“ In der BioRN „wohnen“ rund 100 Partnerunternehmen aus Wirtschaft und Wissenschaft zusammen. Einige davon sind Pioniere auf ihrem Forschungsgebiet, andere sind Großunternehmen oder sogar Weltmarktführer wie die Schweizer Roche AG, Basel-Mannheim, Merck Serono, Darmstadt, und Abbott GmbH, Ludwigshafen. Mit diesem Hinweis stellte CEO Dr. Jürgen Schwiezer von der Roche Diagnostica Mannheim sein neues Partnering auf der Bio-Europe 2008 vor. Das starke Biotech-Netzwerk, das die drei Großunternehmen nun im Rhein-Neckar-Bio-Cluster flechten, soll die technologischen Fortschritte und exzellenten Marktkenntnissen, die hier zusammenkommen, für alle, auch die kleineren Unternehmen, nutzbar und rascher zugänglich machen. Roche und Merck Serono sind in der BioRN bereits mit mehreren Projekten bei der Entwicklung neuer Medikamente und Diagnostica vertreten. Im Rahmen des Partnering bilden sie auch begabte Nachwuchs-Wissenschaftler, Industrie-Manager und Firmen-Leiter aus. Zukünftig will sich auch die Ludwigshafener Abbott GmbH auf der anderen Rheinseite an den firmenübergreifenden Projekten und Aktivitäten des BioRN-Clusters beteiligen. Deren Sprecher Dr. Friedrich Richter, stellvertretender Leiter der Medikamentenentwicklung in der Niederlassung Ludwigshafen, wies darauf hin, dass Abbott GmbH in Deutschland breit aufgestellt ist mit der Forschung, Entwicklung, Herstellung und Vermarktung von Medikamenten sowie in den Bereichen Ernährung, medizinische Implantate und Diagnostica.

Die Abbott GmbH verlegte im Jahr 2001 nach der Akquirierung der BASF-Pharmatochter Knoll AG ihren Firmensitz von Wiesbaden nach Ludwigshafen. Abbott-Deutschland entwickelte sich mit insgesamt 4000 Mitarbeitern inklusive der Niederlassungen Wiesbaden, Rangendingen und Wetzlar zur größten Abbott-Tochter außerhalb der USA. Ebenso ist ihre R&D-Abteilung in Ludwigshafen die größte außerhalb der USA. Sie ist in den Bereichen Immunologie, Onkologie, Virologie, ZNS-Erkrankungen, Schmerz und Stoffwechsel-Störungen tätig, wobei sie Ludwigshafen als High-Tech-Standort einstuft. Hier befindet sich auch das firmeneigene Center of Excellence für Neurosciences, speziell Schizophrenie und neurodegenerative Erkrankungen. Weiter wurden im Jahr 2007 am Standort Ludwigshafen neue Laborräume für keimfreie Herstellungsverfahren in Betrieb genommen. In der gesamten Bio RN Rhein-Neckar beschäftigt Abbott inzwischen 1900 Personen. Erst kürzlich entstanden in Ludwigshafen 30 neue hochqualifizierte Arbeitsplätze an einer neuen Pilotanlage zur Formulierung und Freisetzung neuer Wirkstoffe in Medikamenten.

Wie die Abbott GmbH siedelte sich auch der Schweizer Pharmakonzern Roche AG, Basel, durch die milliardenschwere Übernahme eines deutschen Pharmaunternehmens, der Boehringer Mannheim Diagnostics AG (für 11 Mrd. Dollar im Jahr 1997) im Rhein-Neckar-Raum an. Diese Region entwickelt sich seither zu einem Schwerpunkt der medizinisch-biotechnologischen Forschung in Deutschland. Erst am 22.10.2008 hob die Roche-Gruppe bei einem Pressegespräch in Frankfurt/Main ihre strategische Ausrichtung auf die beiden Kerngeschäfte Pharma und Diagnostics sowie die Bedeutung des Standorts Deutschland hervor. Das weltweit fünftgrößte Pharma- und führende Diagnostikunternehmen beschäftigt an den vier deutschen Standorten Mannheim, Penzberg/Bayern, Grenzach/Baden-Württ. und Kulmbach/Bayern über 10 000 Mitarbeiter und investiert in den nächsten Jahren über 500 Mio. Euro. Dr. Severin Schwan, CEO der Roche-Gruppe, erläuterte den Medienvertretern die Roche-Strategie der personalisierten Medizin und die Umsatzentwicklung von Januar bis September 2008. Durch den gezielten Zukauf von Technologien sowohl im Pharma- als auch im Diagnostics-Bereich erhöhten sich in den ersten neun Monaten 2008 die Verkäufe um 7 % (6 % in lokalen Währungen) auf 33,3 Mrd. Franken. Mit Produkten und Dienstleistungen aus dem Bereich Biotechnologie generiert Roche bereits über die Hälfte seines Umsatzes, was auf die starke Stellung des Unternehmens auf diesem Sektor hinweist.

Seinen Vortrag vor der 14. Bio-Europe Partnering im Raum Mannheim-Heidelberg, die über 2000 internationale Entscheidungsträger aus Biotechnologie, Pharmazie und Finanzwelt zusammenbrachte, schloss Dr. Schwiezer mit den Worten, dass die Schlüsselstrategie von Roche Partnering heißt, d.h. das Zusammenschließen mit Partnern.

Aus Deutschland in die Welt

Den umgekehrten Weg ging „das älteste pharmazeutisch-chemische Werk der Welt,“ die seit ihren Anfängen als Apotheke im Jahr 1668 im südhessischen Darmstadt beheimatete Merck KG a.A. Das traditionsreiche Unternehmen mit Gesamterlösen von 6,3 Mrd. Euro in 2007 und einem operativen Gesamtergebnis von 976 Mio. Euro erwarb im gleichen Jahr für ca. 10,3 Mrd. Euro den Westschweizer Biotechnologie-Konzern Serono AG, Genf, und tätigte so eine zukunftsweisende Investition. Die für die Entrichtung des hohen Kaufpreises gemachten Schulden konnte Merck im Kalenderjahr 2008 bereits vollständig wieder tilgen, wird berichtet.

Im abgelaufenen Kalenderjahr 2008 wuchsen die Erlöse der Merck Serono um rund 8 %. Mit seinen drei Schwerpunkt-Niederlassungen Darmstadt, Genf/Schweiz und Boston/USA sei das Unternehmen nun weltweit gut aufgestellt, sagte Merck-Forschungsleiter Dr. Bernhard Kirschbaum auf der Bio-Europe am 17.11.2008 in Mannheim. Er wies weiter darauf hin, dass der BioRegio-Cluster Rhein-Neckar beim Top-Wettbewerb der 38 deutschen Biotech-Regionen als Sieger in zwei Sparten hervorging, was für die Qualität der involvierten Partner und Projekte spreche. Im siegreichen RN-Bio-Cluster führt Merck gleich mehrere neue Forschungsvorhaben an, darunter ein Tumor-Stammzellenprojekt mit HI-STEM unter Prof. Trumpp. Hier sollen die kranken Tumorzellen identifiziert, isoliert und entfernt werden, um so neue Therapiewege zu eröffnen. Im Rahmen dieses Top-Clusters werde sich die Zusammenarbeit in der BioRN weiter vertiefen. Dazu tragen auch das Deutsche Krebsforschungsinstitut (DKFZ), Heidelberg, sowie das NCI (National Cancer Institute (in den USA) bei.

Die Erfolge und Kooperationsmöglichkeiten werden weitere hochspezialisierte Unternehmen in die Bio-Region Rhein-Neckar ziehen. Dies ermögliche es größeren wie kleineren Unternehmen, so Dr. Kirschbaum, Neu-Entdeckungen aufzugreifen, fortzuführen und in tangible Resultate für die Patienten umzusetzen. Die engere Zusammenarbeit in dichteren Netzwerken werde zur schnelleren Weiterverarbeitung (translation) wichtiger technologischer Fortschritte führen, die besseren Marktkenntnisse werden zu Wettbewerbsvorteilen, die letztlich auch den Patienten zugute kommen.

Nach der neuen verwaltungstechnischen Einheit der BioRN Cluster Management GmbH, Heidelberg, die einen neuen Finanzrahmen erhält, wird das BioRN-Cluster-Kooperationsprojekt auf drei bis fünf Jahre ausgedehnt werden. Den gegenwärtig erzielten Synergie-Vorteilen werden noch weitere folgen, ist sich Merck-Forschungsleiter Bernhard Kirschbaum sicher.

Neben den genannten drei Pharma-Großunternehmen gehören zur Bio-Region Rhein-Neckar (BioRN) die Uni Heidelberg, das DKFZ (Deutsches Krebsforschungszentrum) und das EMBL (European Molecular Biology Lab) in Heidelberg sowie rund 60 kleinere und mittlere Biotech-Unternehmen. Als neues Exekutiv-Organ wurde 2007 die BioRN Cluster Management GmbH, Heidelberg, ins Leben gerufen. Es handelt sich um ein Public-Private-Partnership zwischen der BioRN, der Heidelberg Technology Park, der Handelskammer Rhein-Neckar sowie der Verwaltungseinheit Region Rhein-Neckar. Das neue Management unter Dr. Christian Tidona, Heidelberg, soll die Aktivitäten des besten Bio-Clusters in Deutschland koordinieren, weiter entwickeln und Marketing betreiben.

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