Aus dem Unkraut wird ein Rohstoff
Nicht-allergene Wirkung von Löwenzahn-Gummi prädestiniert diesen für den medizinischen Einsatz – Länder-übergreifendes Forschungs-Projekt der Fraunhofer-Gesellschaft mit Universitäten und Industriepartnern – Naturkautschuk wird ständig teurer und die Ressourcen werden knapper – Gummi aus Löwenzahn wurde in der Ukraine und Russland bereits in den 1930er Jahren hergestellt.
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Life Sciences Innovations

Latex aus Löwenzahn

Aus dem Unkraut wird ein Rohstoff
Eigentlich ist der Löwenzahn ein Unkraut, das gerne von Maikäfern besucht wird. (Foto: Biotechnologie)
Nicht-allergene Wirkung von Löwenzahn-Gummi prädestiniert diesen für den medizinischen Einsatz – Länder-übergreifendes Forschungs-Projekt der Fraunhofer-Gesellschaft mit Universitäten und Industriepartnern – Naturkautschuk wird ständig teurer und die Ressourcen werden knapper – Gummi aus Löwenzahn wurde in der Ukraine und Russland bereits in den 1930er Jahren hergestellt.

Prof. Dirk Prüfer vom neuen Fraunhofer-Institut IME, Münster, leitet eines der weltweit interessantesten Forschungsprojekte. An diesem sind mehrere Universitätsinstitute im In- und Ausland sowie inzwischen zehn Industriepartner, darunter Reifen-Hersteller Conti, beteiligt: Die Herstellung von Natur-Kautschuk aus der gentechnisch optimierten Löwenzahn-Pflanze.

Bereits in drei bis fünf Jahren soll aus der ca. 10...30 % Latex enthaltenden Milch der Löwenzahn-Pflanze, den TV-Zuschauern als „Pusteblume“ bestens bekannt, Naturkautschuk in größeren Mengen herstellt werden. Im Gegensatz zum Gummi, der aus dem Milchsaft des Gummibaums (Hevea brasiliensis) vor allem südostasiatischer Länder wie Indonesien und Malaysia hergestellt wird, wirkt Gummi aus Löwenzahn nicht allergisch und eignet sich folglich für den unmittelbaren Gebrauch durch den Menschen. Naturkautschuk, ob von Gummibäumen oder anderen Latex-haltigen Pflanzen, wird weltweit stark nachgefragt und dies nicht nur von der Autoindustrie, die daraus solide Autoreifen macht.

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Steigender Bedarf bei Natur- und synthetischem Kautschuk

Naturkautschuk ist dem synthetischen Kautschuk, der aus dem immer teurer werdenden Mineralöl hergestellt wird, in puncto Qualität überlegen. Deutsche Autoreifen enthalten mindestens 25 % Naturkautschuk und sind dadurch haltbarer. Infolge der vermehrten Nachfrage von Schwellenländern wie Indien oder China steigt jedoch der weltweite Verbrauch von Naturkautschuk stark an. Gegenwärtig gehen 68 % der Weltproduktion in die Reifenherstellung, 11 % in die Latex-Industrie (Gummi-Handschuhe, -Kleidung etc.), 8 % in Gummitechnik-Produkte sowie in Gummi für Schuhsohlen (ca. 5 %), Klebstoffe (3 %) und Sonstiges (5 %). Rund 40000 Gummi-haltige Produkte finden Anwendung in unserem Alltagsleben, darunter über 400 in der Medizin. Naturkautschuk ist nach Dr. Schulte Gronover, Münster, ein „einzigartiges hochmolekulares Biopolymer“, das bereits vor 3500 Jahren von den Urvölkern Mittelamerikas entdeckt wurde.

Synthetischen Kautschuk, z.B. „Methyl-Kautschuk“, kennt man in Deutschland seit dem sächsischen Erfinder Fritz Hofmann (1866 bis 1956). Er diente als Ersatzstoff im 1. Weltkrieg. Hofmann entwickelte aus Kalk und Breslauer Kohle auch den qualitativ hochwertigeren synthetischen Gummistoff Buna, den er sich 1929 patentieren ließ. Bereits vor dem 2. Weltkrieg wurde synthetischer Kautschuk in größeren Mengen von den IG Farben in Buna aus Styrol-Butadien hergestellt. Als 1941 in den USA Naturkautschuk ebenfalls knapp wurde, wollte die Standard Oil of New Jersey (heute Exxon) ihre aus Deutschland erhaltenen Buna-Patentrechte nicht ohne Weiteres hergeben und wurde deshalb öffentlich einer Verschwörung zugunsten Deutschlands bezichtigt. Standard Oil gab nach und so konnten die USA bis Kriegsende ihre Produktion von synthetischem Buna-Gummi unter dem Namen „Governmental Rubber“ auf nahezu 750000 Tonnen steigern. Andererseits stellte z.B. Dupont de Nemour früh Chloropren-Kautschuk (heute: Neopren) her und Silikon-Kautschuk gibt es in USA bereits seit 1942.

Angesichts der Konfrontationen in der Vergangenheit ist es umso höher einzuschätzen, dass dieses Mal die Wissenschaftler in Europa mit dem Programm „EU-Pearls“ (EU-based Production and Exploitation of Alternative Rubber and Latex Sources) ihre Kräfte gemeinsam mobilisieren. In den USA erforschen Agrarwissenschaftler parallel die Biologie der „Pusteblume“. Gemeinsame Anstrengungen sind nötig, denn angesichts des zunehmenden weltweiten Bedarfs stoßen die Kapazitäten von Malaysia, Indonesien und Thailand, die ca. 80 % der Naturkautschuk-Weltproduktion repräsentieren, bereits heute an ihre Grenzen. Brasilien stellt nur ca. 10 % der Weltproduktion, jedoch ist speziell in den südamerikanischen Ländern die Neuanlage von Gummibaum-Plantagen von gefährlichen Parasiten sowie Pilzbefall durch Microcyclus ulei bzw. South-America Leaf Blight Krankheit (SALB) gefährdet. In der Natur mehr Kautschuk zu ernten, ist jedoch möglich. Insgesamt 2500 Pflanzen, berichtete ein US-Magazin, enthalten Kautschuk. Weiteres Potenzial ist somit vorhanden, auch wenn sich der Rohstoff cis-1,4-Polyisopren gegenwärtig nur aus wenigen Pflanzen in guter Qualität extrahieren lässt.

Herstellung des gefragten Rohstoffs

Chemisch besteht das Polymer Naturkautschuk aus cis-1,4-Polyisopren mit dem hohen Molekulargewicht von ca. 106 g/mol sowie anderen Substanzen (<1 %). Diese sind für die hohe Elastizität, Reißfestigkeit und Hitzebeständigkeit verantwortlich. Synthese-Kautschuk bietet hier keine gleichwertige Qualität. Deshalb muss für Flugzeug-, LKW- und Autoreifen, die extrem hohen Scherkräften und Temperaturschwankungen ausgesetzt sind, Naturgummi verwendet werden.

Bei der Suche nach neuen Kautschuk-haltigen Pflanzen stießen die Fraunhofer-Wissenschaftler um Dirk Prüfer auf ein Kriegs-Forschungsprojekt aus der NS-Zeit: Die Herstellung von Kautschuk aus dem Milch-Saft der Löwenzahn-Pflanze. Das Verfahren haben russisch-ukrainische Wissenschaftler bereits in den 1930er Jahren in der Ukraine etabliert. Das Latex, das aus einer Ritze des Löwenzahns fließt, wirkt zudem nicht allergisch für Menschen. Allerdings gerinnt der Milchsaft schnell beim Kontakt mit Luft. Die erste Arbeit von Prof. Prüfer und seinem Mitarbeiter Christian Schulte Gronover betraf demnach die Genom-Veränderung des Löwenzahns. Die beiden Forscher identifizierten im Rahmen des vor einigen Jahren vom BMBF geförderten Projekts BioSysPro als primären Koagulationsfaktor eine Polyphenoloxidase (PPO), ein Hauptprotein des Latex. Durch Inhibierung der PPO konnte die Latexernte enorm gesteigert werden. Latex-PPO-defiziente Löwenzahn-Pflanzen stellen somit das gegenwärtige Grundgerüst der Löwenzahn-Forschung dar.

Fraunhofer-Wissenschaftler Christian Schulze Gronover fasst die zahlreichen Vorteile der Löwenzahn-Pflanze zusammen:

1. Sie behindert nicht die Lebensmittel-Versorgung (kein Dilemma „Teller oder Tank“).

2. Sie wächst auf sog. marginalen, d.h. anspruchslosen Böden.

3. Der Milchsaft (Latex) des kasachischen Taraxacum koksaghyz enthält zu einem Drittel Kautschuk, vor allem in der Wurzel, bei der einheimischen Pflanzenart sind es nur 10 %.

4. In Deutschland stehen schätzungsweise ca. 1 Mio. Hektar Brachflächen zum Anbau zur Verfügung.

5. Zwei Löwenzahn-Ernten pro Jahr sind möglich.

6. Doppelnutzen: Löwenzahn enthält auch Inulin, ein Präbiotikum, das Darm-anregend wirkt und zur Herstellung von fettarmer Wurst, Brotaufstrichen und Schokolade verwendet wird.

In einem weiteren Forschungsvorhaben erkundeten die beiden Wissenschaftler, auf welche Weise die Biosynthese von Kautschuk erfolgt, d.h. wie die Löwenzahn-Pflanze den Gummi enthaltenden Milchsaft herstellt. Sie untersuchten den DNA-Strang und konnten insgesamt acht Gene identifizieren, die die Enzyme zur Herstellung des Milchsafts produzieren. Einige dieser Gene ähneln in ihrer Sequenz denen des südostasiatischen Gummibaums – der allerdings das Gerinnungsphänomen nicht kennt. Ein weiteres Augenmerk galt der Implementierung eines industriellen Biotech-Verfahrens, mit dem größere Mengen Latex und Naturkautschuk aus T. koksaghyz hergestellt werden sollen. Hierbei werden keine organischen Lösungsmittel eingesetzt. Geprüft wird auch der Einsatz von Fermentern. Hier soll die Biosynthese von Kautschuk auf bestimmte Bakterien und Hefen übertragen werden. Doch muss in dieses Teil-Projekt noch eine Menge Arbeit und Kapital investiert werden.

Neue Löwenzahn-Sorten

An mehreren Standorten im In- und Ausland werden nun die gentechnisch veränderten Löwenzahn-Pflanzen ausgepflanzt. So auf dem Versuchsgelände des bundeseigenen Julius-Kühn-Instituts (JKI), Quedlinburg, das kürzlich 5000 Löwenzahn-Setzlinge ausbrachte. Nach JKI-Leiter Prof. Joachim Schiemann werden für den Löwenzahn keine Herbizide eingesetzt. Da sich im Wurzelwerk der meiste Kautschuk-haltige Milchsaft befindet, werde gegenwärtig Löwenzahn mit größeren Wurzeln gezüchtet. Daran arbeitet in USA parallel ein Forscherteam um Matthew Kleinhenz von der Ohio State University. Kleinhenz sucht die Pflanzen mit den dicksten Wurzeln heraus und kreuzt immer wieder die Sieger dieses Screenings. Ziel ist es, eine Löwenzahn-Pflanze zu züchten, die relativ hoch wächst und deren Wurzelwerk gleichzeitig so dick und schwer ist, dass es mit einer Karotten-Erntemaschine geerntet werden kann.

Im Gewächshaus der Uni Münster wird Löwenzahn bereits von Hand geerntet. Tiefgefroren werden die geernteten Pflanzen samt Wurzel ans Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie nach Pfinztal, Baden-Württemberg, geschickt. Dort werden sie, wie Prof. Prüfer berichtet, kleingehackt und zentrifugiert. Pro Pflanze werden derzeit ca. 5 ml Milchsaft gewonnen. Prof. Schiemann vom JKI schätzt, dass ca. 350000 Löwenzahn-Pflanzen auf einem Hektar Land angepflanzt werden können. Auf einem Hektar Brachland könnten somit ca. 1 Tonne Naturkautschuk und 2 Tonnen des Präbiotikums Inulin gewonnen werden. Um 10 % des Jahresverbrauchs in Deutschland an Naturkautschuk aus Löwenzahn herzustellen, benötigt man folglich nur ca. 20000 ha Fläche. „Der Löwenzahn hat ein großes Potenzial“, unterstreicht Prof. Schiemann die Bedeutung der Forschungsarbeiten, denn ersten Schätzungen zufolge könnte in Deutschland eine Jahresproduktion von 500000 Tonnen Naturkautschuk erzielt werden. Zum Vergleich: Die deutsche Reifenindustrie benötigt 180000 Tonnen pro Jahr. Kaum verwunderlich, dass der Hannoveraner Reifen-Produzent Conti sich als Industriepartner in dieses Länder- und Branchen-übergreifende Projekt einbrachte: Eine neue Rohstoffquelle und dazu noch im eigenen Land – das wären ganz neue Zukunftsperspektiven für den Reifenhersteller!

Die allmählich davon galoppierenden Preise für Rohöl – Ausgangsmaterial für synthetischen Kautschuk – sowie der angespannte Weltmarkt für Rohstoffe werden ihren Teil zu einer raschen Rentabilität des Löwenzahn-Anbaus beitragen. Grund genug, die Löwenzahn-Forschung weiter zu intensivieren. Doch infolge der weltweiten Wirtschaftskrise von 2007/8 wurden die staatlichen Forschungsgelder zunächst reduziert. Darüber hinaus sind die gesetzlichen Bestimmungen für gentechnisch veränderte Organismen immer noch so streng, dass sie den wissenschaftlichen Fortschritt behindern und verzögern. Das transnationale Löwenzahn-Projekt bietet eine einzigartige Möglichkeit, sich im europäischen Rahmen neu aufzustellen. Die deutsche Industrie kann und muss jedenfalls auf Rohstoffe nicht verzichten. Das Unkraut Löwenzahn, aus dem Autoreifen, allergiearme Gummi-Kleidung für die Medizin oder Latex-Matrazen produziert werden, wäre überdies eine neue, nennenswerte Ertragsquelle für die Landwirte. In drei bis fünf Jahren soll Kautschuk aus Löwenzahn im Industrie-Maßstab hergestellt werden.

Richard E. Schneider*)

  1. Freier Wissenschaftsjournalist, Brunnenstr. 16, 72074 Tübingen, Tel. 07071/253015.
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