Life Sciences Innovations
Projekt TRANSBIO
Richard E. Schneider*)
Der Kick-off des neuen Forschungsprogramms fand am 1.1.2012 statt. Neben dem ttz sind mehrere staatliche und private Forschungs- und Biotechnologie-Unternehmen aus dem In- und Ausland beteiligt, darunter die Fundacion Tecnalia Research & Innovation, San Sebastian, Spanien, das staatliche Institut für Technologie und Lebensmittelsicherheit, San Adrian, Navarra, Spanien, Bioesplora, San Michele, Italien, die Autonome Universität, Mexico City, die Universität do Minho, Braga, Portugal, sowie rumänische, belgische und deutsche Unternehmen der Biotech-Branche.
Das gemeinnützige ttz Bremerhaven hat seit seiner Gründung im Jahr 1987 zur Geschäftsgrundlage, den Technologie-Transfer aus der Forschung in die Praxis voranzutreiben. Rechtsträger des ttz sind die Freie Hansestadt Bremen, die Hochschule Bremerhaven und die Seestadt Bremerhaven. Finanziert wird das ttz zu 90 % aus Drittmitteln der Wirtschaft sowie aus Honoraren für deutsche, europäische sowie internationale Projekte. Sein Etat liegt derzeit bei etwa 10 Mio. Euro jährlich.
Bereits im Jahr 2011 wurde das Netzwerk BIORES gegründet, in dem sich Unternehmen der Biotechnologie, der Entsorgung sowie Abwasserverbände zusammenschlossen, um gemeinsam neue Produkte, Verfahren und Geschäftsfelder zu erschließen. Mitglieder in diesem neuen Verband sind u.a. der Abwasserverband Braunschweig, das Biomasse-Nutzung Kompetenzzentrum Schleswig-Holstein, die Martin-Braun-Backmittel und Essenzen KG, die N-Zyme Biotec GmbH, die Pusch Mischpellet AG, die TWL – Technische Werke Ludwigshafen/Rhein sowie der bvse – Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V. und die Agrokraft GmbH, ein Unternehmen des Bayerischen Bauernverbandes. Die Agrokraft besitzt bereits ein umfangreiches Portfolio, entwickelt Windkraft- ebenso wie Photovoltaik-Anlagen und hat bereits ein halbes Dutzend Biogas-Anlagen an der Rhön in Nordbayern errichtet. Besonders stolz ist man bei Agrokraft auf das patentgeschützte Verfahren zur Verwertung regionaler Reststoffmengen. Dabei werden organische Reststoffe wie Klärschlamm und Bioabfälle mittels eines Patents durch hydrothermale Carbonisierung (HTC) in Biokohle umgewandelt, die als Ersatz für Torf und Boden-Zuschlagsstoff eingesetzt werden kann.
Am Netzwerk BIORES werden derzeit drei Projekte betreut: Im Leuchtturm-Projekt 1 geht es um die Wiedernutzung von Produktionsrückständen an Produktionsstandorten, die die Lebensmittel-Industrie nutzt. Im Leuchtturm-Projekt 2 steht die optimierte Verwertung biogener Abfallströme von Entsorgungsbetrieben im Vordergrund und im 3. Leuchtturm-Projekt geht es um eine Kaskaden-orientierte, d.h. stoffliche geht vor energetischer Nutzung biogener Reststoffe aus der landwirtschaftlichen Primärproduktion.
Reststoffe-Recycling in der Lebensmittelproduktion
Beim neuen Projekt der Nutzung von Abfallstoffen sind auf europäischer Ebene mehrere neue Planungsstufen vorgesehen. Es geht zunächst darum, präzise Vorgaben zu erstellen. Folgende fünf Punkte sind zu beachten:
1. Der Bedarf für die Entwicklung von Technologien und Verfahren ist zu ermitteln, die vonnöten sind, um Reststoffmengen einer neuen Verwendung zuzuführen.
2. Wie viele neue Technologien, Verfahren und Prozesse sind nötig, um bessere, wirtschaftlich rentable Mehrwert-Produkte herzustellen, für die Gemüse- und Obstreststoffe recycelt werden?
3. Die neuen Technologien müssen präzise untersucht werden im Hinblick ihrer Auswirkungen auf Umwelt, Qualität der Nahrung sowie deren Sicherheit. Weiter sind Machbarkeitsstudien zu erstellen und eine dauerhafte Wirtschaftlichkeit der neuen Produkte ist zu gewährleisten. Einzuholen sind außerdem die Standpunkte der Verbraucher und Verbraucherverbände sowie die Meinungen der Einzelhändler und der Industrie.
4. Zur Weiterverbreitung der erhaltenen Ergebnisse sind Online-Anwendungen sowie Veranstaltungen zu planen, auf denen die neuen Technologien vorgestellt und zum Einsatz weitergegeben werden können. Ebenso sind im Rahmen von Seminaren oder Schulungen neue Ideen aufzugreifen, um unterschiedlichen Geschäftspartnern eine gemeinsame Schulungsbasis zu vermitteln.
5. Schließlich sind diese neuen technologischen Prozesse in Form eines Leitfadens darzustellen, um die Weiterverarbeitung der Reststoffe aus der Gemüse- und Obstherstellung plausibel zu machen. Dieser letzte Punkt ist besonders für die Industrieunternehmen von Bedeutung.
Innerhalb dieses Projekts werden Forschungsinstitute, Nahrungsmittel-Hersteller, Universitäten und Experten zu Tagungen und zum Meinungsaustausch zusammenkommen. Es sollen ganz allgemein Prozesse und Methoden erörtert werden, um die Wiederverwertung der Lebensmittelreste wie auch das Bewusstsein hinsichtlich der Wertsteigerung solcher neuen Verfahren innerhalb Europas zu stärken und zu steigern.
Von Vorteil ist dabei, dass das ttz Bremerhaven bereits im Rahmen des 6. EU-Forschungsprogramms von 2005 bis 2009 wesentliche Vorarbeiten leistete. Diese Forschungsarbeiten mit dem sinnreichen Titel „Grub‘s up“ standen unter der Leitung von Kolja Knof vom ttz. Im gegenwärtigen 7. EU-Forschungsprogramm, das von 2009 bis 2015 reicht, arbeiten derzeit 23 Partner im Netzwerk „High Tech Europe“ zusammen. Sie bilden gemeinsam das erste europäische Excellence-Netzwerk für Lebensmittel-Technologie. Ziel dieser Initiative von europäischen Forschungseinrichtungen, Industrieverbänden und Unternehmen ist es, in absehbarer Zeit ein gemeinsames, europäisches Institut für Lebensmitteltechnik zu errichten. Biotechnologie, Nanotechnologie sowie Informations- und Kommunikationstechnologie kommen hier zusammen, um neue Produktionsstrategien in der Lebensmittel-Herstellung zur Verfügung zu stellen. Erstmals wird in diesem Jahr ein europäischer Preis ausgelobt, der „Food Processing Innovation Award“.
Mehr zu TRANSBIO
Im neuen TRANSBIO-Projekt sind 16 Forschungseinrichtungen und Firmen aus neun verschiedenen Staaten zusammengeschlossen. Drei Projektteilnehmer kommen aus Lateinamerika. Um ein reines EU-Projekt handelt es sich also nicht. Im Mittelpunkt stehen Wertstoffe aus der gemüse- und obstverarbeitenden Industrie, die mithilfe eines innovativen, stufenförmigen Konzepts zu neuen, werthaltigen Bioprodukten weiterverarbeitet werden. Geplant und umgesetzt werden umweltfreundliche, biotechnologische Verfahren. So entstehen mittels Fermentationsverfahren und enzymatischen Umwandlungsprozessen neue Produkte aus Polyhydroxybutyrat (PHB), die als Biokunststoffe eingesetzt werden können. Die Succinylsäure (Bernsteinsäure) wird zur Herstellung von Nutraceutika (Lebensmittel mit gesundheitlichem Vorteil) sowie als Plattform-Chemikalie verwendet. Nutraceutika werden auch als „Functional Food“ bezeichnet, weil sie einerseits bestimmte Krankheiten vermeiden helfen und andererseits die allgemeine Befindlichkeit des Menschen (Stichwort: besserer Gesundheitsstatus) positiv beeinflussen können. Meist enthalten sie vorteilhafte Probiotika, die überwiegend vorbeugend wirken. Derzeit laufen in mehreren EU-Ländern verschiedene Nahrungsmittel-Studien, in denen die Vorteile dieser Probiotika besonders hervorgehoben werden.
Schließlich werden Enzyme, die aus Gemüse- und Obst isoliert wurden, in neuen Reinigungs- und Waschmitteln eingesetzt. Die neuen Verfahren zur Gewinnung solcher Wertstoffe aus Obst oder Gemüse laufen folgendermaßen ab: Zunächst werden verschiedene Fermentationsvorgänge eingesetzt, um die Wertstoffe auf ihre Leistungsfähigkeit zu überprüfen. Klar unterschieden werden demnach die Submersionsfermentation, die in flüssiger Umgebung für Bakterien und Hefen eingesetzt wird, und die Feststoff-Fermentation, die speziell für Pilze entwickelt wurde. Wesentlich ist auch, dass die Wertstoffe nach ihrer Überprüfung charakterisiert und auf ihre Eignung getestet werden.
Durch eine Kombination verschiedener Aufschlussverfahren lassen sich vergärungsfähige Zucker für die nachfolgende Fermentation gewinnen.
Ein wesentliches Augenmerk gilt bei diesen Arbeiten nicht nur der Wirtschaftlichkeit, sondern auch der Nachhaltigkeit. Konkret sind folgende Schritte zu unterscheiden:
Charakterisierung und Selektierung von Produkten der Obst-/Gemüseproduktion.
Vorbehandlung sowie enzymatische Hydrolyse.
Es werden Bakterien und/oder Hefen und Pilze angezüchtet.
Submersionsverfahren sowie Produktion mit hohem Volumen. Daneben gibt es auch noch die Feststoff-Fermentierung.
Entwicklung von Down-Stream-Verfahren sowie Rückgewinnung des Produkts.
Einschätzung und Bewertung geeigneter Reinheitsstrategien.
Ziel sind bessere
Verwertungsstrategien
Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit stehen bei der Bewertung der Entwicklungen sowie den Optimierungen der neuen Produkte an vorderster Stelle. Up-Scale, Down-Stream sowie Stabilisierung des Endprodukts haben ebenfalls einen hohen Stellenwert. Je nach Art der Fermentationsprodukte (intra- oder extrazellulär) werden die jeweiligen Prozessschritte entsprechend optimiert.
Zur biotechnologischen Herstellung der extrazellulär vorliegenden Succinylsäure werden beim Submersionsverfahren neue, nicht-kommerzielle Hefen eingesetzt. Dagegen erfolgt die Produktion von PHB mittels spezieller Bakterienkulturen intrazellulär. Die Enzyme werden wiederum extrazellulär von Pilzen in Feststoff-Reaktoren gebildet. Die größten Hoffnungen setzt man auf biobasierten Kunststoff, von dem man sich einiges verspricht. Die gewonnenen Enzyme werden auf ihre Wirkung als Reinigungs- und Waschmittel-Zusatz geprüft. Zuletzt wird die aufgereinigte Succinylsäure auf ihre Eignung als Zusatzstoff für Lebensmittel überprüft.
Danach sind die drei großen neuen Produktgruppen PHB (Polyhydroxybutyrat), Bernsteinsäure sowie verschiedene Enzyme, wie Zellulasen, Proteasen und Lipasen, einsatzbereit. Es folgen nun die Anwendungstests, wobei das Polyhydroxybutyrat in der Verpackungsindustrie, die Bernsteinsäure für die Nahrungsmittel-Herstellung und als Plattformchemikalie sowie schließlich die Enzyme zur Herstellung von Detergenzien (Wasch- und Reinigungsmittel) eingesetzt werden.
Im letzten Schritt auf dem Weg zu einer Wiederverwendbarkeit von Obst und Gemüse müssen die neuen Stoffe hinsichtlich Nachhaltigkeit, Dauer des Lebenszyklus sowie hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit überprüft werden.
* Richard E. Schneider, Wissenschaftsjournalist, Brunnenstraße 16, 72074 Tübingen, Tel. 07071/253015.