Nanotechnologie für die Membranprotein-Forschung
Polymer-Nanodiscs als neues Werkzeug für die Membranprotein-Extraktion
Die Struktur- und Funktionsaufklärung von Membranproteinen ist von herausragender Bedeutung für die pharmazeutische und biotechnologische Forschung. Aufgrund ihrer hohen Anforderungen an In-vitro-Methoden ist das Verständnis von Membranproteinen jedoch immer noch sehr begrenzt. Die Autoren präsentieren im Folgenden ein vielversprechendes neues Werkzeug aus der Nanotechnologie, das die Erforschung von Membranproteinen im Labor entscheidend vereinfachen wird: polymerbasierte Nanodiscs.
Membranproteine machen etwa ein Viertel aller im menschlichen Genom kodierten Proteine aus [1] und stellen die Zielstrukturen für einen Großteil der zurzeit erhältlichen Arzneiwirkstoffe dar. Bislang wurden erst etwas über 700 Membranproteinstrukturen aufgeklärt, was nur 2 % der Gesamtheit aller bisher bestimmten Proteinstrukturen (ca. 35 000) ausmacht. Dieser Vergleich verdeutlicht, wie stark die Membranproteinforschung dem Erkenntnisgewinn ihrer löslichen Pendants hinterherhinkt. Ein Faktor wiegt hierbei besonders schwer: Membranproteine neigen dazu, außerhalb ihrer natürlichen Umgebung – also außerhalb einer Biomembran – ihre native Struktur und Funktion zu verlieren.
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Eine Biomembran besteht aus einem äußerst komplex strukturierten Lipid- und Proteingemisch. Lipide lagern sich aufgrund ihrer amphiphilen Eigenschaften – also der Kombination einer polaren Kopfgruppe mit hydrophoben Kohlenwasserstoffketten – zu einer Doppelschicht zusammen, die jede Zelle und jedes Organell umspannt. In diese Lipidmatrix ist eine Vielzahl strukturell und funktionell höchst diverser Membranproteine eingebettet, die miteinander und mit den sie umgebenden Lipiden wechselwirken. Viele dieser Wechselwirkungen zwischen Proteinen und Lipiden sind essenziell für die Ausübung oder die Regulierung der zahlreichen Funktionen von Biomembranen.
Traditionelle Isolierung von Membranproteinen
Zur Struktur- und Funktionsaufklärung in vitro – also unter kontrollierten Bedingungen im Reagenzglas – müssen Membranproteine zunächst aus einer Biomembran extrahiert und anschließend gereinigt werden. Bisher war man dafür auf konventionelle Detergenzien angewiesen, die Biomembranen zerlegen und dabei Membranproteine in kleine, annähernd kugelförmige oder aber längliche Protein-Detergenz-Komplexe aufnehmen und sie so in Lösung halten. Zwar steht eine Vielzahl verschiedener Detergenzien zur Verfügung, die in den letzten Jahrzehnten zu manchem wissenschaftlichen Durchbruch verholfen haben [2]; dennoch sind Detergenzien für viele Zwecke eher schlecht als recht geeignet.
Detergenzien verfügen wie Lipide über amphiphile Eigenschaften, können aber die komplexen physikochemischen Gegebenheiten einer Biomembran insgesamt nur in sehr begrenztem Maße wiedergeben. Um Membranproteine in Lösung zu halten, lagern sich Detergenzien eher lose an hydrophobe Teile von Membranproteinen an und verdrängen dabei unspezifisch und meist sogar auch spezifisch gebundene Lipide. Dies führt nicht selten zu irreparablen Strukturveränderungen und Funktionsverlust des solubilisierten Proteins. Ein weiterer Aspekt ist die oft langwierige und zeitraubende Suche nach einem für das betreffende Protein geeigneten Detergenz.
Möchte man das Zielprotein nach der Extraktion und Reinigung in einer zumindest annähernd physiologischen Umgebung untersuchen, muss es wieder in geeignete Membranmimetika mit einer Lipiddoppelschicht rekonstituiert werden, so z. B. in Liposomen oder ebene Lipidmembranen. Solche Membranmimetika weisen zwar eine den Biomembranen ähnliche Doppelschicht-Architektur auf, bestehen aber zumeist aus nur einer oder wenigen Lipidspezies. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass das rekonstituierte Membranprotein zum Zeitpunkt der Überführung in eine Lipiddoppelschicht seine native Struktur und Funktion bereits irreversibel verloren hat.
Polymer-Nanodiscs extrahieren Proteine samt Lipidumgebung
Derzeit gewinnt ein neues Verfahren rasch an Beliebtheit. Es umgeht die oben beschriebenen Probleme in der Extraktion von Membranproteinen. Das Verfahren beruht auf der besonderen Eigenschaft von Styrol-Maleinsäure-Kopolymeren (SMA) [3] und Diisobutylen-Maleinsäure-Kopolymeren (DIBMA) [4], Membranproteine unabhängig von konventionellen Detergenzien zu solubilisieren. Anstatt – wie konventionelle Detergenzien – die unmittelbare Umgebung solubilisierter Membranproteine aufzubrechen, extrahieren diese Kopolymere Membranproteine mitsamt ihrer Lipidumgebung in scheibenförmige Membranstücke, die von einem Polymerkranz umschlossen werden (Bild 1). Diese Polymer-Lipid-Nanopartikel werden als Polymer- Nanodiscs oder „SMA/lipid particles“ (SMALPs) bzw. „DIBMA/lipid particles“ (DIBMALPs) bezeichnet. Der Durchmesser dieser Nanodiscs hängt vom Polymer-Lipid-Verhältnis, von der Art der solubilisierten Proteine und Lipide sowie von den experimentellen Bedingungen ab, bewegt sich aber zumeist im Bereich von 10–40 nm [5–7].
Dass Lipide in Polymer-Nanodiscs in einem ähnlichen Zustand wie in polymerfreien Membransystemen vorliegen, wurde mittels differenzieller Rasterkalorimetrie – besser bekannt unter dem englischen Ausdruck „differential scanning calorimetry“ (DSC) – nachgewiesen (Bild 2). Mit dieser Methode wurde die Phasenübergangstemperatur eines Phospholipids in Gegenwart steigender Polymerkonzentrationen untersucht [6]. Dabei zeigte sich, dass DIBMALPs ihre Lipid-doppelschicht nur sehr schwach beeinflussen, da die Phasenübergangstemperatur selbst bei sehr hohen Polymerkonzentrationen kaum absinkt.
Dahingegen haben SMALPs, die ein Polymer mit einem molaren Styrol-Maleinsäure-Verhältnis von 3 : 1 (SMA(3 : 1)) enthalten, schon bei niedrigen Polymerkonzentratio-nen einen drastischen Effekt. SMA(3:1) ist aufgrund seines hohen Styrolanteils besonders hydrophob und dringt mit diesen starren Seitenketten vermutlich leicht in den hydrophoben Teil der Lipiddoppelschicht ein, die dadurch in ihrer Ordnung und Dynamik gestört wird.
SMA(2:1) hat einen geringeren Styrolanteil und wirkt daher weniger störend, während die ebenfalls hydrophoben Diisobutylen-Untereinheiten von DIBMA aufgrund ihrer Größe wahrscheinlich kaum zwischen die Lipidketten eindringen und deren Phasenverhalten somit nur marginal beeinflussen.
Extraktion großer Bandbreite an Membranproteinen möglich
Nicht nur Lipide, sondern insbesondere auch Membranproteine sollten ihre funktionelle Struktur in Polymer-Nanodiscs erhalten. Tatsächlich wurde SMA, dessen membranauflösende Wirkung schon 2009 beschrieben worden war, bereits zur funktionellen Isolierung von einzelnen kleinen Membranproteinen bis hin zu großen Proteinkomplexen eingesetzt. Darunter finden sich Vertreter vieler relevanter Proteinklassen, wie beispielsweise der Kaliumionenkanal KcsA des Bodenbakteriums Streptomyces lividans [8] oder der Proteinkomplex Cytochrom-c-Oxidase aus der Atmungskette der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae [9]. Auch Vertreter der für die pharmazeutische Forschung besonders bedeutenden Proteinklasse der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCRs) konnten funktionell isoliert werden, so z. B. der humane Adenosinrezeptor A2AR [10].
Die milderen membransolubilisierenden Eigenschaften von DIBMA wurden erst 2017 veröffentlicht; u.a. konnten wir dabei zeigen, dass OmpLA – eine Phospholipase der äußeren Membran des Magenbakteriums Escherichia coli – in DIBMALPs in ihrem nativ gefalteten Zustand vorliegt und die gleiche Aktivität aufweist wie in Liposomen [4]. Generell können sowohl SMA als auch DIBMA eine große Bandbreite an Membranproteinen extrahieren, wie am Beispiel der Solubilisierung von E. coli-Membranen zu sehen ist (Bild 3). SMA(2:1) erreicht dabei insgesamt eine ähnliche Solubilisierungseffizienz wie das beliebte Detergenz Dodecylmaltosid (DDM). DIBMA ist bezüglich der Gesamtmenge an solubilisierten Proteinen zwar etwas weniger effizient, scheint tendenziell aber größere Proteine extrahieren zu können, was sich in intensiveren Banden bei höheren Molmassen niederschlägt. Dies lässt sich dadurch erklären, dass DIBMALPs bei vergleichbaren Polymer-Lipid-Verhältnissen größere Durchmesser aufweisen als SMALPs.
Vielfältiger Einsatz durch dynamische Strukturen
Polymer-Nanodiscs können für strukturgebende Methoden wie Kryo-Elektronenmikroskopie an Einzelpartikeln [11] sowie Flüssig- [12] und Festkörper- [13] Kernspinresonanzspektroskopie (NMR) verwendet werden. Erst kürzlich wurde zum ersten Mal eine mittels Röntgenkristallographie bestimmte, hochaufgelöste 3D-Struktur eines Membranproteins veröffentlicht, das zuvor aus SMALPs in Lipid-Mesophasen überführt worden war [14]. Dieses Beispiel legt nahe, dass Polymer-Nanodiscs nicht – wie ursprünglich gedacht – starre, sondern vielmehr dynamische Strukturen sind. So können Polymer-Nanodiscs mit anderen Membransystemen wechselwirken und dabei Membranproteine [8] und Lipide [15] austauschen. Zusätzlich haben wir kürzlich gezeigt, dass auch zwischen Polymer-Nanodiscs Lipide ausgetauscht werden – und zwar hauptsächlich über Kollisionen zwischen Nanodiscs [16]. Dies geschieht so schnell, dass innerhalb weniger Sekunden der gesamte Lipidinhalt ausgetauscht wird, weshalb Polymer-Nanodiscs Gleichgewichtsstrukturen darstellen (Bild 4, nächste Seite). Ein noch schnellerer Austausch war zuvor nur in manchen mizellaren Strukturen beobachtet worden, die keine Lipiddoppelschicht enthalten und eine deutlich geringere Ordnung aufweisen. Klassische Membranmimetika mit einer Lipiddoppelschicht wie beispielsweise Liposomen benötigen unter gleichen Bedingungen hingegen Stunden bis Tage, um ihren gesamten Lipidinhalt auszutauschen, weshalb sie als kinetisch gefangene Strukturen anzusehen sind.
Der schnelle Austausch von Lipiden zwischen Polymer-Nanodiscs hat wichtige Implikationen für die Untersuchung von Protein-Lipid-Wechselwirkungen. Aus Biomembranen gebildete Polymer-Nanodiscs, die Membranproteine enthalten, reichern im Vergleich zu proteinfreien Nanodiscs bestimmte Lipidspezies an [8]. Die prinzipielle Möglichkeit eines schnellen Austausches von Lipiden bedeutet also, dass diese Anreicherung nicht nur eine Momentaufnahme der Umgebung des extrahierten Proteins in der Biomembran zum Zeitpunkt der Solubilisierung darstellt. Vielmehr ist sie auf Protein-Lipid-Wechselwirkungen zurückzuführen, die so stark sind, dass bestimmte Lipide mit dem Protein assoziiert bleiben, obwohl sie in proteinfreie Nanodiscs transferiert werden könnten. Um solche Protein-Lipid-Wechselwirkungen zu identifizieren und ihre physiologischen und pathophysiologischen Rollen aufzuklären, wurde jüngst an der Technischen Universität Kaiserslautern das von der Carl-Zeiss-Stiftung unterstützte Zentrum für Lipidomics (CZSlip) gegründet (www.bio.uni-kl.de/molbiophysik/czslip).
Fazit und Ausblick
SMA und DIBMA können verschiedenste Biomembranen solubilisieren und dabei ein breites Spektrum an Membranproteinen und die sie umgebenden Lipide unter quasi-nativen Bedingungen – also in einer Lipiddoppelschicht – extrahieren. Außerdem sind Polymer-Nanodiscs kompatibel mit vielen strukturbiologischen Methoden. Dennoch weisen beide Kopolymer-Varianten auch Eigenschaften auf, die der Membran-proteinforschung noch Schwierigkeiten bereiten. Die Styrolreste von SMA beispielsweise absorbieren stark im Ultraviolett-Bereich, weshalb sie nur bedingt mit optisch-spektroskopischen Methoden kompatibel sind. Außerdem toleriert SMA nur geringe Mengen divalenter Kationen, die aber als Kofaktoren für Membranproteine oft eine essenzielle Rolle spielen. DIBMA ist aufgrund seines relativ hohen Maleinsäureanteils stark negativ geladen, was erstens die Solubilisierung erschweren und zweitens elektrostatische Wechselwirkungen zwischen Membranproteinen und Liganden stören könnte. Arbeitsgruppen auf der ganzen Welt widmen sich deshalb der Aufgabe, die derzeit erhältlichen Kopolymere zu modifizieren, um sie hinsichtlich ihrer Solubilisierungseigenschaften zu optimieren und damit noch effizientere und zugleich mildere Werkzeuge für die In-vitro-Untersuchung von Membranproteinen zu schaffen.
Literatur
[1] M. Uhlén et al. Science 2015, 347, 1260419.
[2] A. M. Seddon et al. Biochim. Biophys. Acta 2004, 1666, 105.
[3] T. J. Knowles et al. J. Am. Chem. Soc. 2009, 131, 7484.
[4] A. O. Oluwole et al. Angew. Chem. Int. Ed. 2017, 56, 1919.
[5] C. Vargas et al. Nanoscale 2015, 7, 20685.
[6] A. Grethen et al. Sci. Rep. 2017, 7, 11517.
[7] A. O. Oluwole et al. Langmuir 2017, 33, 14378.
[8] J. M. Dörr et al. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 2014, 111, 18607.
[9] I. A. Smirnova et al. Biochim. Biophys. Acta 2016, 1858, 2984.
[10] M. Jamshad et al. Biosci. Rep. 2015, 35.
[11] M. Parmar et al. Biochim. Biophys. Acta 2018, 1860, 378.
[12] T. Ravula et al. Angew. Chem. Int. Ed. 2017, 56, 11466.
[13] B. Bersch et al. Angew. Chem. Int. Ed. 2017, 56, 2508.
[14] J. Broecker et al. Structure 2017, 25, 384.
[15] R. Cuevas Arenas et al. Nanoscale 2016, 8, 15016.
[16] R. Cuevas Arenas et al. Sci. Rep. 2017, 7, 45875.
AUTOREN
Bartholomäus Danielczak
Anne Grethen
Dr. Carolyn Vargas
Prof. Dr. Sandro Keller
Molekulare Biophysik, Technische Universität Kaiserslautern