Life Sciences Innovations

Biotechnologie 2012

Mehr forschen heißt Biotechnologie verstehen

Bioraffinerien stellen eine neue Antwort auf drängende Fragen unserer Zeit dar. (Bild: Bio-Ökonomie)

Richard E. Schneider*)

Prof. Oliver Brüstle gelang noch Ende 2011 die Aufklärung einer seltenen Erbkrankheit. Andererseits zeigte sich im Januar 2012 die deutsche Biotech-Branche für das laufende Jahr verhalten optimistisch.

Kaum war der Sieg von Greenpeace-Deutschland-Chef, der gegen Deutschlands wohl berühmtesten Stammzell-Forscher Oliver Brüstle, Uni Bonn, geklagt hatte, vor dem Gerichtshof der EU in Luxemburg in trockenen Tüchern, als besagter Prof. Brüstle mit einem neuen Sieg von sich reden machte: Es gelang ihm, induzierte pluripotente Stammzellen (ipS) von Patienten mit einer erblichen Bewegungsstörung so zu verändern, dass daraus neue Nervenzellen entstanden. Mit deren Hilfe entschlüsselten Prof. Brüstle und sein Forscher-Team anschließend, wie diese Krankheit entsteht.

Die Krankheit heißt Machado-Joseph-Erkrankung, beinhaltet vor allem Bewegungsstörungen, d.h. eine dominant vererbte Kleinhirn-Ataxie, und trat zunächst bei Bewohnern der Azoren auf. Brüstle zeigte mit Dr. Philipp Koch und Dr. Peter Breuer, Klinik für Neurologie, Bonn, dass die Bildung der Protein-Aggregate unmittelbar mit der elektrischen Aktivität der Nervenzellen zusammenhängt. Dem Enzym Calpain, das durch erhöhten Calciumgehalt stimulierter Nervenzellen aktiviert wird, kommt eine Schlüsselrolle zu, da es erklärt, weshalb diese Erkrankung ausschließlich Nervenzellen betrifft.

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Als nächstes Ziel wollen Prof. Brüstle und seine Mitarbeiter reprogrammierte Nervenzellen dazu verwenden, um neue Wirkstoffe herzustellen, mit denen neurologische Erkrankungen behandelt werden können. Der wissenschaftliche Beitrag wurde immerhin in der angesehenen englischen Fachzeítschrift „nature“ 10.1038 nature10671 veröffentlicht. Außerdem erklärten sich die deutschen Wissenschaftler in einer feierlichen öffentlichen Erklärung bereit, vorerst nicht mehr gegen Greenpeace Deutschland in den Krieg zu ziehen.

Vernehmbarer Optimismus in der deutschen Biotech-Szene

Der Biotech-Dienstleister BIO Deutschland optierte Mitte Januar mit der Fachzeitschrift http://transkript.de für einen gedämpften Optimismus im neuen Jahr 2012 in der deutschen Biotech-Branche. Die detaillierten Ergebnisse wurden am 16.1.2012 auf einer Pressekonferenz in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt. Beklagenswert ist vor allem, dass im abgelaufenen Jahr 2011 nur noch 161 Mio. Euro neues Kapital in die Branche flossen – nach guten 650 Mio. Euro in 2010. Dennoch erkennt Dr. Peter Heinrich, Vorstandsvorsitzender der BIO Deutschland, dass die „krisenerprobten deutschen Biotechnologie-Unternehmen sich erstaunlich gut an die Finanzmittelknappheit angepasst haben. Sie arbeiten weiter an der Entwicklung neuer Produkte und werden dabei zunehmend profitabel.“

Dessen ungeachtet schätzen die deutschen Biotech-Unternehmen ihre Lage besser ein als noch vor Jahresfrist. Der dazugehörende Index stieg von 95 auf 96 Punkte. Deutlich spürbar ist der gleichzeitige Rückgang des Optimismus von 98 auf 92 Punkte. Neue Jobs könnte es geben dank des gleich gebliebenem Index von 95, jedoch könnten die F & E-Aktivitäten von 96 auf 94 Punkte sinken. Negativer bewertet wird der allgemeine politische Stimmungsindex, der um 3 auf 88 Punkte sank sowie die Einschätzung der politischen Lage, die um 3 auf noch 94 Punkte nachgab. Während Dr. Andreas Mietzsch, Herausgeber von transkript, befand, dass „die deutschen Biotech-Unternehmen erwachsen werden, mit eigenen Produkten bereits weite Teile der industriellen Wertschöpfung erobert haben und zunehmend profitabel werden“, merkte Viola Bronsema, Geschäftsführerin der BIO Deutschland, an, die Biotech-Branche sei als technischer Impulsgeber anerkannt, jedoch werde „die Notwendigkeit eines innovationsfreudigen Klimas in Deutschland für den Mittelstand ignoriert“.

Vom Wächter-Gen p53 und anderen Fortschritten

Prof. Otmar Wiestler, Stiftungsvorstand des DKFZ (Deutsches Krebsforschungszentrum), Heidelberg, hat mit anderen Wissenschaftlern herausgefunden, dass das Gen p53 dafür Sorge trägt, dass sich mutierte Zellen nicht weiter vermehren. Geschieht dies dennoch, kann nicht nur langfristig Krebs entstehen. Bestimmte Defekte im p53-Molekül können zu einer plötzlichen Entstehung von Krebs führen, wenn die Erbinformation einer Zelle durch ein plötzlich eintretendes Ereignis völlig zerstört wird und sich in eine Krebszelle verwandelt. Diese Forschungsergebnisse dienen als Grundlage für neue Therapien und Erkenntnisse zu Krebserkrankungen. Sie haben das Verständnis für Krebserkrankungen sogar merklich erweitert und vertieft.

Weniger überraschend, aber dennoch unerwartet, haben der US-Biotech-Riese Amgen Inc. und das deutsch-amerikanische Biotech-Unternehmen Mikromet mit Forschungssitz München am 26.1.2012 ihren Zusammenschluss für einen Kaufpreis von 1,2 Mrd. Dollar mitgeteilt. Amgen wird 11 Dollar pro Mikromet-Aktie entrichten. Beide Unternehmen kooperieren seit ca. sechs Monaten bei der Entwicklung bi-spezifischer Antikörper gegen Krebs. Amgen unterstützt die Suche nach neuen, sogenannten BiTE-Antikörpern (bi-specific Cell-Enhancer) mit 685 Mio. Euro. Die BiTE-Antikörper besitzen zwei verschiedene Bindungsstellen, mit denen sie einerseits an Krebszellen und andererseits an körpereigene Immunzellen andocken. Auf diese Weise lenken sie die Killerzellen des Immunsystems in unmittelbare Nähe des Krebses, wo sie die Tumorzellen in den programmierten Zelltod treiben.

Nach dem Bekanntwerden des Deals begann Mikromet einen enormen Höhenflug, gewann 34 % und schloss bei 8,23 Euro. Mikromet mit Hauptsitz Rockville, Maryland, besitzt von Anfang an ein großes Forschungszentrum in München, wo es vor 19 Jahren gegründet wurde.

Das Tübinger Biotech-Unternehmen Immatics Biotechnologie AG hat nun zwei Eisen im Feuer beim Kampf gegen Krebs. Nicht nur die Vakzine IMA901, gegenwärtig in der Phase-III-Studie zur Therapie von Nierenkrebs, sondern auch mit dem Darmkrebs-Impfstoff IMA910, einem Wirkstoff gegen das Kolorektal-Karzinom in der klinischen Phase II, ist das Tübinger Unternehmen gut aufgestellt. Der Wirkstoff konnte die Überlebenszeit auf über zwei Jahre ausdehnen. Alle Patienten erhielten die Impfungen zusammen mit Immun-Modulatoren und bis zu 16 Dosen IMA910 über einen Zeitraum von neun Monaten. Die Studie wurde an 51 Zentren in neun europäischen Staaten durchgeführt.

Artemisin gegen Malaria und andere Neuigkeiten

Dem Kampf gegen Malaria wurde am 17.1.2012 in Deutschland, genau in Berlin, ein bedeutender Fortschritt zuteil, der voraussichtlich die Herstellungs-Kosten für das Medikament erheblich reduzieren wird. Forscher um Prof. Peter Seeberger, Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, Potsdam, und Wissenschaftlern der FU Berlin glückte es, den eigentlich wirkungsstärksten Stoff Artemisinin gegen Malaria enorm preiswert herzustellen. Es genügt, anstatt des Artemisins sich der Artemisinsäure zu bedienen. Sie fiel bisher in großen Mengen als Abfallprodukt von Artemisin an und wurde bisher einfach weggeschüttet, weil unbrauchbar. Prof. Seeberger und seinem Mitarbeiter Francois Lévesque gelang es, aus Artemisinsäure mit UV-Licht und Sauerstoff das Malaria-Medikament um ein Mehrfaches preiswerter als bisher herzustellen. Die Apparatur ist relativ simpel: Um eine Lichtquelle haben sie einen transparenten Teflonschlauch gewickelt, durch den die Ausgangssubstanz und der Sauerstoff geleitet werden. Den Rest übernimmt die einfache und preiswerte Fotochemie.

Eine deutliche Verbesserung erwartet die Wissenschaft auch von der mitwachsenden Herzklappe. Sie wurde an der Medizinischen Hochschule Hannover entwickelt und soll nun in einer europaweiten Studie mit über 200 Patienten an sieben weiteren europäischen Herzzentren erprobt werden. Die EU Brüssel unterstützt das Projekt mit 5,2 Mio. Euro. Bei den Implantaten, die mit Prof. Axel Haverich, MHH, entwickelt wurden, werden von Menschen gespendete Herzklappen in einem aufwändigen Verfahren bis auf das Stützmaterial Collagen von ihren Zellen befreit. Auch werden die Herzklappen nicht abgestoßen, sondern verbleiben lebenslang im Körper. Sie sollen bei Kindern und Jugendlichen sogar mitwachsen. Im Rahmen der „ESPOIR“-Studie werden in den nächsten vier Jahren rund 200 Patienten mit den sogenannten Homografts behandelt. Das Team um den Herzchirurgen war bereits im Jahr 2008 für den Deutschen Zukunftspreis vorgesehen worden, allerdings wurde die Kandidatur wegen Patent-Streitigkeiten wieder zurückgezogen.

Und noch ein weiteres aktuelles Thema: Die Erforschung von Knochenmark-Krebs, einer besonders aktiven Form der tödlich verlaufenden und bisher kaum heilbaren Erkrankung. Hierzu wurde ein EU-Verbundprojekt mit dem Namen OPTATIO gegründet, das sich auf die Mikroumgebung des Myeloms konzentriert. Ziel ist die Gewinnung neuer Einsichten und vor allem in Resistenz-Mechanismen des Knochenmark-Krebses.

Mehr Hilfe durch deutschen Bioökonomie-Rat

Der erst 2009 ins Leben gerufene Bioökonomie-Rat der Bundesregierung legt nun seine anfangs angebrachte Zurückhaltung ab und fordert Anstrengungen. Er wünsche nichts weniger als eine Bioenergiewende. Vor allem sollen neue, biotechnologisch veränderte, ertragsreichere Energiepflanzensorten angebaut werden. Es müssen auch neue Pflanzensorten gezüchtet werden, die höhere Energieerträge pro Flächeneinheit sowie eine höhere Wasser-Effizienz aufweisen. Verbesserungsbedarf ist ebenfalls aktuell und angesagt: Hier steht vor allem eine bessere Nutzung von bisher ungenutzten Ressourcen wie Restholz, Stroh, Straßen-Begleitgrün, Gülle oder Abwasser im Mittelpunkt. Hier kann die Biotechnologie noch besser genutzt bzw. eingesetzt werden.

Ratspräsident Reinhard Hüttl ist weiter der Auffassung, dass im Bereich Kaskaden-Nutzung noch viel ungenutztes Potenzial liegt. Doch zunächst muss das schwer zu knackende Material Zellulose durch spezielle Enzyme auf- bzw. erschlossen werden. Aus dem so aufbereiteten Grundstoff soll nicht nur Methan produziert werden, sondern in einem weiteren Schritt sollen alle vorstellbaren Grundchemikalien in neuen, erst noch zu errichtenden Bioraffinerien hergestellt werden.

Konkrete neue Ansatzpunkte sind ebenfalls erwünscht und werden gleichzeitig nachgefragt. Man kann z.B. die Rohstoffbasis einer klassischen Bio-Ethanolanlage erweitern und zusätzlich Ligno-Cellulose, also Holzabfall, zu Bio-Ethanol weiterverarbeiten, sagt Prof. Martin Kaltschmitt, Institut für Umwelttechnik und Energiewirtschaft der TU Hamburg-Harburg. Auch in der gesamten Prozesskette der Herstellung von Bio-Ethanol steckt noch ein immens großes Verbesserungspotenzial. Verbessert werden können noch der Biomasse-Aufschluss, die Destillation und Rektifikation oder die Schlempeverwertung. Ebenso kann die Produktpalette erweitert werden durch Öle und Harze, die aus dem Holzabfall gewonnen werden können. Und für das Polyphenol Lignin sind ebenso eine Reihe von Verbesserungen bis hin zu komplexen Bioraffinerien möglich. Dem Geist der praktischen Nutzung sind keine Grenzen gesetzt.


Richard E. Schneider*)

  1. Wissenschaftsjournalist, Brunnenstr. 16, 72074 Tübingen, Tel: 07071/253015
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