FTIR-Analyse von Polymeren in Mägen von EissturmvögelnTierwelt leidet an Plastikabfällen
Im Herbst 2014 fand auf der niederländischen Insel Texel der „Fulmar Litter Monitoring“-Workshop statt, veranstaltet vom IMARES Institute for Marine Resources & Ecosystem Studies. Der Fokus dieses Workshops liegt auf der Analyse von Mägen toter Eissturmvögel (Fulmarus glacialis), die an den Küsten der Nordsee gefunden werden.
Im Rahmen des Workshops lernen die Teilnehmer unter der Anleitung von Dr. Jan. A. van Franeker (Bild 1), die Vögel von außen und innen zu begutachten, um zur Kategorisierung der Tiere deren Alter, Geschlecht und andere wichtige Hinweise aufzunehmen. Nach der Außenbesichtigung wird der Vogel innen untersucht. Für die hier gezeigte Applikation ist der Mageninhalt des Vogels von Interesse. Der Magen eines Eissturmvogels erstreckt sich nahezu über den ganzen Körper, da er ganze Fische zu verdauen hat.

Dieser Magen ist in zwei Mägen unterteilt: Proventriculus und Gizzard. Es findet im großen Proventriculus die Vorverdauung statt und harte Teile werden im Gizzard gemahlen und zur Nahrung gewandelt (Bild 2).

Die Nordseeländer haben die Bedrohung durch Kunststoffe lange erkannt, und ihr Ziel ist es, deren Konzentration im Meer so weit zu reduzieren, dass die meisten Eissturmvögel weniger als 0,1 g Plastik im Magen haben (bzw. höchstens 10 % der Vögel mehr als 0,1 g). Diese Werte werden in den fünf Regionen der Anrainerküsten der Nordsee statistisch nicht erreicht (Bild 4).
Zwar ernähren sich Eissturmvögel von allem was schwimmt, wie Fische und Tintenfische, jedoch nehmen die Vögel auch Kunststoffabfall auf. Sie verwechseln ihn mit Nahrung, er ist Beiwerk beim Fischen, oder ist eventuell auch im Fisch angereichert. Der Eissturmvogel fischt an der Seewasseroberfläche bis maximal 2 m Tauchtiefe, wo sich hauptsächlich leichte Polymere wie Polyethylene und Polypropylene finden. Der Abfall ist in seiner Erscheinung sehr vielfältig, so dass eine optische Kategorisierung eingeführt wurde, zum Beispiel: industriell, angewendet/gebraucht, kein Plastik und Verschmutzung. Die präzise Statistik für die Eissturmvögel in den Niederlanden von 2009 bis 2013 lautet:

227 Eissturmvögel wurden untersucht, 94 % hatten Plastik in ihren Mägen. Der Mittelwert von Material pro Magen waren 28 Partikel mit einem Gesamtgewicht von ca. 0,3 g. Der kritische EcoQO-Wert von 0,1 g an Plastik wurde von 52 % der Vögel überschritten [1].
Oberflächlich gesehen, mag das wenig erscheinen – bezogen auf das Körpergewicht eines Eissturmvogels entsprechen 0,3 g Plastik guten 20 g Plastik im Körper eines 70 kg schweren Menschen, also einem Fünftel einer Tafel Schokolade (vergleiche Bild 5).

Wozu die FTIR-Messtechnik?
Mit dieser Messtechnik der Infrarotspektroskopie lassen sich alle Arten von Stoffen und deren Erscheinungsformen zerstörungsfrei messen, also auch Plastik aus den Eissturmvogelmägen. Rüstet man das FTIR-Gerät (IRAffinity-1S) mit einer Einfach-Reflexions-ATR-Einheit (Quest™) aus, kann man die Proben direkt messen. Die Probenvorbereitung besteht in einem Abtrocknen der Proben mit Papier nach kurzer Reinigung mit Wasser. Unter dieser Voraussetzung erwartet man ein sauberes Polymer.
Unter der Verwendung einer ATR-Einheit versteht man eine Oberflächenmessung, die in diesem Fall mit ca. 2 µm in die Oberfläche hinein durchgeführt wird. Die Probe wird hierzu auf ein Messfenster aus Diamant gelegt und mit einem Stempel an dieses Fenster angedrückt. Die gemessenen Infrarotspektren helfen bei der Identifizierung der Polymere – und dies innerhalb von Sekunden! Die Messdauer und Analyse beträgt eine Minute. FTIR-ATR ist deshalb eine geeignete Methode, um größere Probenmengen (zum Beispiel auch für Monitoring-Zwecke) zu messen.
Messergebnisse
Ein großes Problem bei der Analyse von natürlichen Feldproben ist die falsche Analyse. Das ist an einem dünnen Stück Folie erklärt: Das erhaltene Spektrum des Folienstücks wird mit Hilfe einer reinen Polymerbibliothek weiter analysiert. Das Ergebnis der Suche ordnet das Material dem Polyamid (Nylon) zu. Der rein optische Vergleich der Spektrenstruktur wie auch das Suchergebnis in der Bibliothek mit einem Treffer bei 700 (gute Übereinstimmung über 900) zeigen deutlich, dass keine gute Übereinstimmung erzielt wurde.

Erweitert man eine Bibliothek um das Know-how um diese Fremdprobe herum, so wird die Trefferquote besser und verlässlicher. Für eine bessere Analytik werden hier viele zusätzliche Fakten benötigt, zum Beispiel: was frisst der Vogel, welche Konsistenz hat die Magenflüssigkeit, und so weiter.
Um das Spektrum, welches Bild 7 zeigt, besser einsortieren zu können, werden noch zwei andere Referenzspektren (Bild 8) benötigt:

1. Fischhaut und 2. Fett des Magens. Kombiniert man hier das Fett des Eissturmvogels mit dem Spektrum von Fischhaut, so erhält man das Spektrum in Bild 7.
Das zweite Bespiel zeigt ein Fragment mit der Beschreibung „weiß mit rauer Oberfläche.“ Jetzt führt die Bibliothekssuche zu einem korrekten Ergebnis. Polypropylen ist ein Teil des Spektrums. Dazu kommen noch Proteine und kleine Anteile an Fett. Alle drei machen das Spektrum aus. Das Polymer wird mit einer Treffergenauigkeit von 930 von maximal 1000 gefunden.

Diskussion der Messergebnisse
Mit Hilfe der Infrarotspektroskopie lassen sich die Stoffe untersuchen, die sich im Eissturmvogelmagen angereichert haben. Durch die eingesetzte Oberflächenanalyse lassen sich die Materialien in einer Schichtdicke von 2 µm bestimmen. Je nach Werdegang des Partikels weist dieser eine gewisse Rauigkeit auf, in die sich Verdauungsflüssigkeiten festsetzen können.
Aufgrund der fetten Nahrung wird in vielen der Proben Fett gefunden, das sich in den Poren der Oberflächen festsetzt. Würde man diese Proben mit Fettentferner waschen, könnte das Infrarotspektrum der gesäuberten Oberfläche wiederum zu einer höheren Trefferquote führen. Mit diesem Wissen lässt sich ein schnelles Screening der Partikel an ungereinigten Oberflächen durchführen.

Literatur
[1] Fulmar litter EcoQO monitoring in the Netherlands – Update 2012 and 2013, J.A. van Franeker, S. Kühn, E.L. Bravo Rebolledo, A. Meijboom, Report number C122/14, IMARES Wageningen URxc.
Autoren:
Dr. J. A. van Franeker
IMARES Wageningen UR
Albert van Oyen
Carat GmbH
Marion Egelkraut-Holtus
Shimadzu Europa GmbH
E-Mail: info@shimadzu.eu
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