Fachbeitrag
Gendiagnostik –
Richard E. Schneider*)
- Freier Wissenschaftsjournalist, Brunnenstr. 16, 72074 Tübingen, Tel. 07071/253015.
Mit viel Medienecho stellten die beiden Genforscher James Watson und Craig Venter ihre 3 Mrd. DNA-Bausteine zur Sequenzierung zur Verfügung. Venter ließ alles publizieren, Watson untersagte die Veröffentlichung der Gensequenzen, die seine Prädisposition für Alzheimer zeigen. Überhaupt fiel der greise Nobelpreisträger durch die verunglimpfende Aussage auf, die Schwarzafrikaner seien nicht so intelligent wie weiße Menschen. Auch dies war eine Erinnerung an die ersten Schritte der Genforschung.
Wie kompliziert und zeitintensiv Gendiagnostik ist, zeigt das SNP-Projekt des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN), das seit Herbst 2006 vom Bundesforschungsministerium (BMBF) bezuschusst wird: SNPs (= Single Nucleotide Polymorphism) sind kleine Abweichungen der DNA und mit 11 bis 13 Mio. SNPs pro Genom reichlich vorhanden. Beteiligt an der Studie sind 25000 Patienten mit 25 verschiedenen Erkrankungen. Prof. Stefan Schreiber, Kiel, erläutert den enormen Arbeitseinsatz: „Werden pro Erkrankung 500000 SNPs in 1000 Patienten zugrunde gelegt, sind 500 Mio. Patienten-Genotypen mit 500 Mio. Kontroll-Genotypen zu vergleichen.“ In England unterstützt seit 2005 der Wellcome-Trust ca. 50 Genforscher-Gruppen mit rund 200 Wissenschaftlern, die insgesamt 10 Mrd. SNPs(!) von 17000 Patienten auf acht Krankheiten untersuchen. Sie stellten dabei fest, dass Morbus Crohn (Darmentzündung) und Diabetes Typ-2 (Altersdiabetes) das Gen PTPN2 gemeinsam haben.
Neue Gentechnik- Instrumente: Nanoporen für die DNA-Analyse?
Bei der Sequenzierung soll zukünftig ein neues Werkzeug, die Nanopore, schneller helfen: Die gesamte DNA-Doppelhelix wird durch die nur nanometergroße Pore gezogen, umgebende elektrische Felder erkennen jeden einzelnen DNA-Baustein und registrieren ihn. Doch gibt es bisher noch kein Gerät, das binnen Sekunden diese schnelle Registrierungsarbeit verrichten könnte. Es geht um ca. 3 Mrd. DNA-Bausteine. Das schnellste DNA-Lesegerät, ein Chip mit Mikroarray, stammt von Jonathan Rothbergs Firma „454 Life Science“ in USA. Es kann 25 Mio. DNA-Bausteine in einem Durchlauf binnen einer Stunde ablesen. Mit diesem Chip wurde bereits die Knochen-DNA des Neandertalers (homo neanderthalensis) analysiert.
Fast zwangsläufig ergeben sich durch die Eruierung solch immenser Daten neue öffentliche Datenbanken. Sie werden zukünftig die Arbeit erleichtern. Diesem Trend folgen private Pharmakonzerne: Die Schweizer Novartis AG richtete eine Gendatenbank für Altersdiabetes ein. Auf der Web-Site http://www.broad.inst.edu sind genetische Informationen von über 1500 Diabetes-Patienten aus Schweden und Finnland verfügbar, die mit der DNA von 1500 gesunden Personen aus den beiden Ländern verglichen werden können. Man versteht schon: Die Gendaten-Basis soll möglichst einheitlich sein. Deshalb operiert man in Deutschland mit süd- und norddeutschen Datenbanken. Auch wird die neue Gendiagnostik gleich mit der anschließenden Therapie verbunden: Roche, Basel, entwickelte mit seinem Brustkrebsmedikament Herceptin einen dazu passenden HER2-Rezeptor-Test.
Für Diabetes brachte die Gendiagnostik zutage, dass vier Regionen im Genom mit der Auslösung der Erkrankung eng verbunden sind. Weiter wurde der Gen-Locus TCF722 als wichtig identifiziert. Mit 70 % Sicherheit kann per Gendiagnose eine Prognose zur Erkrankung eines Patienten an Diabetes abgegeben werden. Auch wurde in der DNA ein Protein gefunden, das Zink transportiert. Stoffwechsel-Experten ist bereits bekannt, dass Zink eine Rolle bei der Verpackung und zellulären Sekretion von Insulin spielt.
Gene und Krebs – fast schon eine runde Sache
Auf kleine Glasträger mit Mikro-Arrays, auf denen bestimmte Gen-Abschnitte (Oligonucleotide) aufgetragen wurden, lässt man die gesamte aktive DNA (in Boten-Moleküle übertragen) einwirken. Es entsteht ein spezielles Farbmuster, Signatur oder Genprofil genannt. Damit können Gentests aller Art durchgeführt werden, zahlreiche Mikro-Arrays sind offiziell bereits zugelassen. Mit „Mammaprint“ der Amsterdamer Firma Agendia wird seit 2005 die Aktivität von 70 Genen nach Mammakarzinom gemessen und danach ein Risikofaktor definiert. Je nach Faktor können die Patienten mit einer Sicherheit von 5 bis 23 % an einem Karzinom-Rezidiv erkranken. Bei hohem Risikofaktor können die behandelnden Ärzte überdies eine Chemotherapie anordnen. Sogar die Erfolgschancen dieser Chemotherapie können mit einem Gentest prognostiziert werden: Den Octotype DX-Gentest stellt die Firma Genomic Health (Californien) für 3400 Dollar zur Verfügung.
Die Genforschung hat die Krebsforschung in den letzten Jahren „runderneuert“. So bearbeiten unter TRANSBIG derzeit 40 Partner in 21 Ländern einen neuen „Cancer Genom Atlas.“ Das Projekt wird ca. 100 Mio. Euro kosten, doch es bleibt danach das schnell verfügbare Wissen für Millionen Patienten. Für Brustkrebs und kolorektale Karzinome konnten inzwischen 200 Gene identifiziert werden. Diese Gene versehen so unterschiedliche Aufgaben wie Transkription, Zellhaftung sowie Zellzugang (Invasion). Mithilfe dieser erkannten Gene können auch neue Therapieansätze (neue Medikamente) gelingen.
Persönliche Medizin – psychische Probleme
Ein Zukunftsszenario: Der Hausarzt erhält von seinem Patienten eine Diskette mit dessen gespeicherten DNA-Sequenzen. Mit Gentests stellt er fest, ob sein Patient an einem Prostata-Krebsrezidiv erkranken wird, ob er gesundheitsgefährdenden Strahlendosen ausgesetzt war oder ob er günstig auf HIV-Medikamente anspricht (Pfizer-Gentest).
Schwer tun sich alle Beteilig-ten noch mit den neuen Erkenntnissen aus Gentests: Die Patienten müssen lernen, mit unliebsamen Tatsachen (erhöhtes Risiko für bestimmte Erkrankungen) zu leben, und die Kranken- und Lebensversicherungen dürfen keine Kunden wegen negativ ausfallender Gentests ablehnen. Ein solches Schutzgesetz (GINA) liegt derzeit dem US-Congress vor.
In Deutschland entscheidet die Jurisprudenz ohne Gendiagnostik-Gesetze. So klagte eine Lehrerin in Hessen mit Erfolg gegen ihre Nicht-Übernahme ins Beamtenverhältnis, weil in ihrer Verwandtschaft Fälle der vererblichen Krankheit Chorea Huntington (Veitstanz) vorkamen. Sie bekam Recht.