Fachbeitrag
Gendoping
Richard E. Schneider*)
- Freier Wissenschaftsjournalist, Brunnenstr. 16, 72074 Tübingen.
Äußerst spektakulär starteten Gendoping-Wissenschaftler der University of Pennsylvania Mitte Mai eine Besteigung des Mount Everest im Himalaya-Gebirge. Die von Prof. Tejvir Khurana geleitete Expedition wird von der WADA (World Anti-Doping-Agency) und dem deutsch-niederländischen Pharmaunternehmen Qiagen NV. finanziell unterstützt. Allein die Genehmigung zur Besteigung des höchsten Bergs der Welt mit Labormäusen im Gepäck soll 30000 Dollar kosten. Der lebensgefährlichen Strapaze der Gipfelerklimmung wird sich der deutsche Wissenschaftler Dr. Tillmann, Post-Doc an der UPENN, mit Labormäusen im Gepäck unterziehen. In extrem sauerstoffarmer Luft sollen die Gene und Proteine identifiziert werden, die für Hochleistungssportler relevant sind und auf die durch Gendoping Einfluss genommen werden kann, z.B. die Sauerstoffversorgung der Muskeln. Auf dem Mount Everest stehend soll Tillmann den Mäusen die aufschlussreichen Gewebeproben entnehmen. Ob die Extremanforderung ein Äquivalent in ihrem wissenschaftlichen Nutzen haben wird, ist fraglich. Dr. Patrick Diel, Doping-Experte an der Deutschen Sporthochschule Köln, sieht in der Himalaya-Expedition eher eine publikumswirksame Aktion. Doch ob die Labormäuse noch lebend auf dem Gipfel des höchsten Bergs der Welt ankommen, ist ungewiss.
Nicht wenige Stimmen der Sportszene erklären das Leistungspotential bei Athleten für ausgereizt, weitere Steigerungen seien nur noch in Einzel- und Ausnahmefällen möglich – oder durch Rückgriff auf verbotenes Gendoping. In der Medizin bedeutet Gendoping, dass Zellen, Gene, Genelemente oder die Regulierung der Genexpression nicht für therapeutische Zwecke eingesetzt werden, sondern mit der Absicht, die körperliche Leistungsfähigkeit von Sportlern zu steigern. Die Hoffnung auf Siege oder zumindest lukrative Werbe- und Sponsorenverträge verleitet manchen Hochleistungssportler, zu solch verbotenen Mitteln zu greifen. Er nimmt Arzneimittel ein, die entweder auf seine Körperkraft, die Sauerstoffaufnahme oder auf Nährstoffe einwirken. Die Medikamente werden dieserarts zu Leistungsstimulanzien in seinem Körper umfunktioniert.
Als Gendoping im engeren medizinischen Sinn gelten gen- oder zelltherapeutische Verfahren zur körperlichen Leistungsverbesserung. Konkret bedeutet dies für den Sportler eine gesundheitlich keineswegs unbedenkliche Einschleusung von Erbmaterial (DNA oder RNA) in Zellen, Organe oder in den Körper allgemein. So produzierten Radsportler durch die verbotene Einnahme gentechnischer Biopharmazeutika wie EPO-Präparate, die zur therapeutischen Behandlung von Blutarmut entwickelt wurden, zusätzlich rote Blutkörperchen in ihrem Körper. Damit konnten sie den Sauerstofftransport im Blut steigern und ihre Muskelleistung verbessern. Wie EPO wurden auch andere Krebsmedikamente von Sportlern bereits mit dem Ziel der körperlichen Leistungssteigerung eingenomen.
„Schwarzenegger-Gen“ zur verbesserten Muskelbildung
Als Ansatzpunkt für einen neuen Doping-Kandidaten zur verbesserten Muskelentwicklung gilt das Eiweiß Myostatin („Muskelbremse“). Myostatin verringert, wenn es gehäuft im Körper produziert wird, das Muskelwachstum. Erstmals wurde es 1997 vom US-Forscher Se-Jin Lee (Johns-Hopkins-School of Medicine, Baltimore) als „Schwarzenegger-Gen“ beschrieben: Mäuse ohne dieses Gen entwickelten mächtige Muskeln. Diese Entdeckung führte zunächst zur Entwicklung eines neuen Medikaments gegen Muskelschwäche, das gegenwärtig noch in der klinischen Erprobungsphase ist. Doch lässt sich Myostatin leicht als Dopingmittel für Sportler umfunktionieren, wenn man die „Muskelbremse“ in ihrem Körper mit einem Antagonisten ausschaltet und so ungehemmtes Wachstum der Muskulatur bewirkt.
Auch wenn bisher noch keine Myostatin-Antagonisten-Präparate zugelassen wurden, so besteht die Gefahr dieses Gendopings weiter. Außerdem gibt es eine Vielzahl anderer Wirkstoffe und Verfahren, mit denen Steigerungen der Muskelmasse und Reduzierung des Körperfetts erreicht werden können. Der deutsche Doping-Experte Patrick Diels (Sporthochschule Köln) erhielt kürzlich den Auftrag, einen Nachweistest für Myostatin-Inhibitoren zu entwickeln.
Weitere Kandidaten
Neue Ansatzpunkte für Gendoping sind gegenwärtig der Wachstumsfaktor VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor), der bei herzkranken Patienten nach Ischämien und Blutgefäßzerstörungen die Sauerstoff-Austausch-Kapazität des Gewebes erhöht. Hier wird im Herzmuskel durch den Transfer „nackter DNA“ die Herstellung von VEGF-2 angeregt. Für den Sportler ergeben sich erhöhte Leistungsmöglichkeiten.
Weiter können das Wachstumshormon HGH (Human Growth Hormone) in Verbindung mit dem Faktor IGF (Insulin-like Growth Factor) und der Unterform MGF (Mechano Growth Factor), die bei Patienten mit Wachstumsstörungen oder Muskelschwund eingesetzt werden, von Sportlern als Dopingmittel eingesetzt werden. Sie tragen zur Steigerung der Muskelmasse sowie zu einem verstärkten Fettabbau bei. Wird den Muskelzellen ein entsprechendes Gen eingeschleust, beschleunigen sie die Produktion von HGF oder IGF.
Sogar in Entwicklung befindliche Medikamente gegen Dickleibigkeit können den Sportlern als Dopingvehikel dienen: Die Fettsäure-Transporterproteine FATP1 und CD-36. Werden sie durch Transfer von „nackter DNA“ im Körper von Sportlern überexprimiert, wird deren Fettverwertung und damit ihre Ausdauer erhöht. Die vorgenannten Wege zum Gendoping sind z.T. erst im Tierversuch als gangbar erkannt und bestenfalls getestet worden. Für Sportler bergen sie, wie das bereits bekannte EPO, ein großes Potential gesundheitlicher Gefahren und Schädigungen bis hin zum plötzlichen Herzstillstand.
Biochemischer Nachweis vorerst schwierig
Generell bleibt der Nachweis von Gendoping wegen der Vielzahl der bekannten, einsetzbaren Wirkstoffe vorerst schwierig. Schwer nachweisbar ist auch das Doping mit körpereigenen Substanzen, die außerhalb des Körpers produziert werden und als solche vom Test erkannt werden müssen. Beim EPO-Doping konnte das Problem gelöst werden. Seit den Olympischen Spielen von Athen 2004 können die Doping-Kontrolleure auf einen Nachweis im Urin des Sportlers zurückgreifen. Der Test kann rasch zwischen körpereigenem und künstlich hergestelltem EPO unterscheiden.
Doch häufig weiß der Doping-Fahnder nicht, nach welchem Wirkstoff er konkret suchen soll. Auch scheint gegenwärtig ein lückenloses Screening der klinisch relevanten Biopharmazeutika und Wirkstoffkomponenten unmöglich. Deshalb empfehlen Sportärzte zur Vorbeugung gegen Doping weiterhin regelmäßige Kontrollen bzw. die Langzeitbeobachtung von Leistungssportlern. Deren körperlich-medizinische Leistungsparameter sollen regelmäßig erhoben und gemessen werden. Erhöhte Hämatokrit-Werte führen rasch auf die Spur von EPO-Dopingsündern. Infolge der regelmäßigen sportmedizinischen Erhebung der Körperdaten können plötzliche Leistungsexplosionen einzelner Sportler erkannt und danach gezielt Dopinganalysen durchgeführt werden.