Digitalisierung für nachhaltigere Forschung nutzen

Barbara Schick,

Im Labor nachhaltiger werden

Forschungslabore sind sehr ressourcenintensiv und hinterlassen einen großen CO2-Fußabdruck. Es gibt Bemühungen, Labore nachhaltiger zu gestalten und gleichzeitig Kosten einzusparen. Eine herstellerübergreifende Lösung kann helfen, Arbeitsprozesse im Labor zu digitalisieren und nachhaltiger zu gestalten.

Wissenschaftliche Forschung ermöglicht technologische und medizinische Fortschritte. Doch die Auswirkungen, die wissenschaftliche Einrichtungen auf die Umwelt haben, können erheblich sein: Labore sind besonders ressourcenintensive Bereiche und betrachtet man z. B. Lüftungs- und Klimatisierungsanlagen, so benötigen Labore im Vergleich zu Bürogebäuden schon aufgrund der erforderlichen hohen Luftwechselraten sehr viel mehr Energie. Auch der Betrieb der Laborgeräte ist sehr energieintensiv. Beispielsweise verbraucht ein Autoklav im Durchschnitt so viel Energie wie 1,6 Familienhaushalte pro Jahr.

Dr. Kerstin Hermuth-Kleinschmidt, NIUB-Nach­­haltigkeitsberatung: „Viele Forschende sind sich nicht im Klaren darüber, wie viel Energie sie verbrauchen.“ © NIUB-Nach­- haltigkeitsberatung

Ein hoher Energieverbrauch entsteht auch durch die computergestützte Verarbeitung der Forschungsdaten, die auf einer umfangreichen Recheninfrastruktur aus Servern, Speichergeräten sowie Betriebs- und Kühlgeräten beruht. So werden für die Simulation der Molekulardynamik des Tabak Mosaik Virus (STMV) für 100 ns zwischen 17,8 kg und 95 kg CO2-Äquivalente freigesetzt, je nach verwendeter Software [1]. Darüber hinaus produzieren Labore große Mengen an Kunststoff-, Chemikalien- und biologischem Abfall. Es wird geschätzt, dass Forschungslabore jährlich allein etwa 5,5 Millionen Tonnen Plastikabfall produzieren [2].

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Mal ein anderer Aspekt in Bezug auf Nachhaltigkeit in der Forschung: Neben dem Ressourcenverbrauch in Laboren trägt auch die Teilnahme von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an internationalen Konferenzen erheblich zum CO2-Fußabdruck bei. Eine Studie zeigte, dass Reisen im Zusammenhang mit dem Jahrestreffen der Society for Neuroscience, einer großen wissenschaftlichen Konferenz mit ca. 30 000 Teilnehmern, 22 000 Tonnen CO2-Emissionen entsprechen [3].

Nachholbedarf im Labor – Aspekte

Labore, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen, können nicht nur einen wertvollen Beitrag zum Umweltschutz leisten, sondern auch von erheblichen finanziellen Vorteilen profitieren. Wenn beispielsweise die zuvor erwähnten Autoklaven durch energie- und wassereffizientere Modelle ersetzt werden, führt dies zu deutlichen Einsparungen. Die University California Riverside konnte durch diesen Schritt knapp 833 000 Liter Wasser und 25.000 kWh an Energie pro Jahr einsparen. Das führte nicht nur zu einer Einsparung von 17,6 Millionen Tonnen an CO2, sondern auch zu einer Einsparung von 2.500 US-Dollar pro Jahr und pro Gerät [4]. Ein besonders beeindruckendes Beispiel ist die FU Berlin, die 2021 durch ihre Nachhaltigkeitsinitiativen ganze 6,1 Millionen Euro an Energiekosten einsparen konnte [5].

Dr. Kerstin Hermuth-Kleinschmidt, Gründerin der NIUB-Nachhaltigkeitsberatung, fällt auf, dass zum Thema Nachhaltigkeit im Labor noch viel Aufklärungsarbeit nötig ist: „Viele Forschende sind sich nicht im Klaren darüber, wie viel Energie sie verbrauchen. Energieverbräuche werden zwar auf Gebäudeebene gemessen, aber selten an Forschende kommuniziert – und eine Messung der Verbräuche auf Geräteebene erfolgt sehr selten.“

Matthias Schuh, CEO und Co-Founder von Essentim. © essentim

Matthias Schuh, CEO und Co-Founder des Unternehmens Essentim, bei dem IoT-Monitoring-Technologien entwickelt werden, sieht dabei auch ein zeitliches Problem: „Forscher sind durch die Bank aufmerksame und gut ausgebildete Menschen. Aufgrund ihrer intensiven, häufig noch manuellen Laborarbeit fehlt ihnen aber die Zeit, sich Gedanken über konkrete Nachhaltigkeitsmaßnahmen im Labor zu machen.“

Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler steht der Erfolg ihrer Arbeit im Mittelpunkt. Der Druck, Projekte voranzutreiben, Finanzierungen zu sichern und ihre Forschungsergebnisse zu publizieren, ist groß. Labore sind komplexe und z. T. streng regulierte Bereiche, für die Veränderungen mit hohem Arbeitsaufwand verbunden sind. Um hier Hürden zu überwinden, müssen Unternehmen und Forschungsinstitute gleichermaßen Anreize schaffen, damit ihre Mitarbeitenden umweltbewusster arbeiten und ihren Beitrag leisten Umweltauswirkungen zu minimieren. Die Freie Universität Berlin (FU) arbeitet beispielsweise mit eben solchen Anreizen für die Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen. 2007 führte man dort ein Nachhaltigkeits-Bonusprogramm (Prämiensystem) ein, um einen (finanziellen) Ansporn für ihre Abteilungen zu schaffen, Energie zu sparen. Seit der Einführung dieses Programms haben fast alle Abteilungen an der FU Berlin ihren Energieverbrauch reduziert. Der besonders energieintensive Fachbereich „Biologie, Chemie, Pharmazie“ erzielte eine besonders hohe Prämie. Die Universität selbst konnte die Energiekosten um ca. 28 Prozent senken.

Mit Digitalisierung mehr Nachhaltigkeit erreichen

Die Digitalisierung ist bei der Umsetzung eines nachhaltigen Labors ein hilfreiches Werkzeug, um den Überblick über Inventar, Protokolle, Daten und Dokumentationen im Labor zu behalten. Dadurch werden datengestützte Entscheidungen ermöglicht, was Zeit und Ressourcen spart. Ein Inventory Managementsystem kann dabei helfen, Materialien-Bestände besser im Blick zu behalten und so z. B. Doppelbestellungen zu vermeiden. Ein Gerätemonitoring wiederum kann unnötige Energieverbräuche aufdecken und erinnert Nutzerinnen und Nutzer an bevorstehende Wartungen. Durch die Umstellung auf ein elektronisches Laborbuch (ELN) lassen sich historische Daten leichter abrufen, was Zeit spart und unter Umständen die unnötige Wiederholung von Versuchen reduziert. Auch der Papierverbrauch wird minimiert und insgesamt wird durch die Digitalisierung die Zusammenarbeit von Teams intern, extern und auf globalem Maßstab vereinfacht.

Auch bei der Hardware (z. B. Cloud vs. Server-Computing-Plattformen) und Software sollte der Energieverbrauch berücksichtigt werden. Zum Beispiel können rechenintensive Analysen, wie genomweite Assoziationsstudien (GWAS), sehr ressourcenintensiv sein. Eine genomweite Assoziationsstudie in der UK Biobank für ein einzelnes Merkmal, durchgeführt mit der Bolt-LMM-Software, emittiert 17,29 kg CO2-Äquivalente, wenn sie mit Version 1.0 der Software durchgeführt wird, aber nur noch 4,7 kg CO2-Äquivalente, wenn sie mit Version 2.3 durchgeführt wird. Durch den Wechsel der Softwareversion können Forscher daher den CO2-Fußabdruck dieser Analyse um 73 Prozent reduzieren [1]. Mit dem „Green Algorithms-Calculator“ können Forscher sogar den CO2-Fußabdruck ihrer Berechnungen abschätzen.

Nachhaltigkeitsmaßnahmen und Aufwand

Geringfügige Anpassungen im Arbeitsalltag können schon viel bewirken und weitreichend Nutzen bringen, wie z. B. auch eine Umstellung auf ein digitales Laborbuch die Dokumentation von Experimenten und Ergebnissen vereinfacht. Trotz der Vielzahl an Vorteilen, die mit der Verbesserung der Nachhaltigkeit im Labor einhergehen, entsteht durch die Einführung entsprechender Maßnahmen ein zusätzlicher Zeit- und Organisationsaufwand. Darüber hinaus kann die Implementierung nachhaltiger Lösungen zu Beginn zusätzliche Kosten bedeuten. Unternehmen beziehungsweise Labore müssen stets das Budget für nachhaltige Lösungen sowie die Kosten-Nutzen-Relation berücksichtigen, denn auch die Ökonomie ist Bestandteil einer umfassenden Nachhaltigkeitsberatung. Zudem erzeugt die Integration technologischer Lösungen viele Daten, was eine höhere Rechenleistung und Speicherkapazität erfordert.

Dr. Simon Bungers, CEO und Co-Founder bei Labforward: „Gemeinsam [mit Forschenden] finden wir effektive Wege, um nachhaltiger zu werden.“ © Labforward

„Als Wissenschaftler tragen wir die Verantwortung, die Umwelt zu schützen, uns zu engagieren und unsere Arbeitsweisen entsprechend anzupassen. Gut, dass Forschende hochgradig kreativ sind. Gemeinsam finden wir effektive Wege, um nachhaltiger zu werden. Bei Labforward streben wir an, unsere technologischen Lösungen auf informative und durchdachte Weise in Laboren zu implementieren und sicherzustellen, dass unsere Produkte sowohl Wissenschaftler als auch die Umwelt im Blick haben. Die Digitalisierung ist dabei ein wichtiger Schritt“, fasst Dr. Simon Bungers, CEO und Co-Founder bei Labforward, zuversichtlich zusammen. Der Softwareanbieter Labforward arbeitet mit verschiedenen Partnern zusammen, um eine herstellerübergreifende Lösung zu entwickeln, die in bereits vorhandene Laborstrukturen integriert werden kann, um Labore digitaler und nachhaltiger zu gestalten.

Kooperation für mehr Nachhaltigkeit

Spezialisten der Unternehmen Essentim, die NIUB-Nachhaltigkeitsberatung und Labforward haben gemeinsam eine umfassende, maßgeschneiderte und digitalisierte Lösung für mehr Nachhaltigkeit im Labor entwickelt. Diese entwickelte Lösung in Form eines individuellen und maßgeschneiderten Aktionsplans für jedes Labor, soll nicht nur negative Umwelteinflüsse verringern, sondern auch dazu beitragen, dass Labore durch die Reduzierung ihres Energieverbrauchs Geld sparen und langfristige „Gewohnheiten“ zur Verbesserung der Effizienz entwickeln.

Diese Lösung für Labore macht eine umfassende Überwachung verschiedener Anwendungen möglich. Diese umfasst das Monitoring der Temperatur von Kühlgeräten, des Stromverbrauchs sowie die Überwachung von Geräten und Umweltparametern wie der Luftfeuchtigkeit. Implementiert werden die von Sensoren generierten Daten in das Laborausführungssystem, kurz LES (Lab Execution System), Laboperator von Labforward, wo die Daten visualisiert und verarbeitet werden. Die Erkenntnisse aus den Sensordaten werden dann von Dr. Kerstin Hermuth-Kleinschmidt genutzt, um mit Hilfe der Ecomapping-Methode dem Labor beim Erstellen eines Aktionsplans zu helfen.

Die Daten aus den Sensoren werden an das digitale Laborausführungssystem Laboperator von Labforward übertragen, wo die Daten visualisiert und verarbeitet werden. © Labforward

Nach der Umsetzung der Nachhaltigkeitsmaßnahmen führen Essentim und Labforward eine weitere Sensordatenerhebung durch, um die Fortschritte im Labor zu messen. Darüber hinaus wird nach drei bis sechs Monaten ein Follow-up gemeinsam mit der NIUB-Nachhaltigkeitsberatung durchgeführt, um die Entwicklung zu überwachen und gegebenenfalls Maßnahmen zu verfeinern. Ein Bericht für die interne Dokumentation und externe Präsentation wird dem jeweiligen Labor (dem Kunden) ebenfalls übergeben.

Gemeinsam mit Essentim wurde bei Labforward eine Lösung entwickelt, die eine umfassende Überwachung verschiedener Laborgeräte wie zum Beispiel Kühlgeräten ermöglicht. Rechts oben ist der IoT-Sensor von Essentim zu sehen, der Parameter wie Temperatur und Feuchtigkeit in Echtzeit erfasst und überwacht. © Labforward

Durch die Implementierung eines IoT-Monitoringsystems (IoT = Internet of Things) werden Labore dabei unterstützt, Fehler im Arbeitsalltag zu reduzieren, die Reproduzierbarkeit von Versuchen zu erhöhen und dadurch den Ressourcenverbrauch zu verringern. Durch das Monitoring des Stromverbrauchs, insbesondere von -80 °C-Tiefkühlgeräten, gewinnen Forscher wertvolle Einblicke in den Stromverbrauch und können diesen optimieren. Höhere Verbräuche entstehen beispielsweise, wenn -80 °C-Freezer relativ lange Zeit geöffnet bleiben. Im Schnitt braucht ein Freezer eine Dauer von 30 Minuten, um wieder seine Nenntemperatur zu erreichen, wenn er für 30 Sekunden geöffnet wurde. Zudem verbrauchen Freezer mehr Energie, wenn sich Eis bildet oder Staub auf Filtern ablagert und die Wärme nicht mehr richtig abgeführt werden kann. Durch eine Überwachung können erhöhte Verbräuche sichtbar gemacht und die Ursachen eruiert werden. Außerdem können Nutzer an notwendige Überprüfungen und Wartungen erinnert werden. Darüber hinaus kann das LES so konfiguriert werden, dass Geräte wie Wasserbäder, CO2-Inkubatoren oder Beleuchtungen automatisch abgeschaltet werden, wenn sie nicht gebraucht werden. Insgesamt haben Laborausführungssysteme das Potenzial, Labore in ihrem täglichen Betrieb nachhaltiger zu machen.

Matthias Schuh, Co-Founder und CEO bei Essentim, betont: „Ich bin auf dem Land und in der Natur groß geworden und wünsche mir, dass auch kommende Generationen dieses Privileg genießen können. Denkt man an Nachhaltigkeit, geht es meist darum, wie man seinen CO2-Fußabdruck reduzieren kann, auch in Laboren. Durch die kluge Nutzung digitaler Lösungen lässt sich der Ressourcenverbrauch in Laboren erheblich senken. Die Grundlagen für nachhaltiges Arbeiten in Laboren sind bereits vorhanden – jetzt gilt es, sie in die Tat umzusetzen.“

Dr. Kerstin Hermuth-Kleinschmidt, Gründerin der NIUB-Nachhaltigkeitsberatung, ergänzt: „Jeder muss seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten und sollte sich sowohl im Alltag als auch im Beruf damit auseinandersetzen. Viele Labore befinden sich an Universitäten, in denen Studierende ausgebildet werden. Hier sollte die Basis für nachhaltiges Arbeiten bereits gelegt und an die nächsten Generationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weitergegeben werden.“

Die partnerschaftliche Kooperation von Essentim, der NIUB-Nachhaltigkeitsberatung und Labforward hat zu einer Lösung geführt, die Laboren hilft, Ressourcen zu sparen, ihren CO2-Fußabdruck zu reduzieren und nachhaltiger zu werden. Labormitarbeitende erhalten eine Anleitung und Unterstützung, um ihre Arbeitsabläufe leistungsfähiger und umweltfreundlicher zu gestalten.

Transparenz beim Nachhaltigkeitsprojekt

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen Herausforderungen auf dem Weg zu einem nachhaltigeren Labor nicht allein bewältigen, sondern können sich Unterstützung holen. Wichtig für alle Nachhaltigkeitsprojekte ist es, potenzielle Hindernisse und auch negative Aspekte auf der Reise zum nachhaltigen Labor einzubeziehen und unter den Projektbeteiligten zu kommunizieren. Transparenz kann entscheidend für das Projekt sein: nicht nur, um sicherzustellen, dass die Erwartungen für die Nachhaltigkeitsziele realistisch sind, sondern auch, um bei der Umsetzung des Change-Management-Prozesses zu helfen.

Zitierte Literatur:
[1] Grealey, J. et al.: The Carbon Footprint of Bioinformatics; Molecular Biology and Evolution, 2022. DOI 10.1093/molbev/msac034

[2] Urbina, M. A., Watts, A. J. R. & Reardon, E. E.: Labs should cut plastic waste too. Nature 528, 479 (2015). DOI 10.1038/528479c

[3] Nathans, J. & Sterling, P.: How scientists can reduce their carbon footprint. eLife 5, e15928, 2016. DOI 10.7554/eLife.15928

[4] Faugeroux, D., Wells, B., LaboratoryDesign 20-6 (2016)

[5] Wanke, A., Tacke, B., Große, N., Taige,l J., Schweigel, K., Sustainability and Energy Management Unit - Freie Universität Berlin. (2022); https://www.fu-berlin.de/sites/nachhaltigkeit/stabsstelle/kommunikation/berichte/_inhaltselemente/NB_englisch_2022.pdf

Quellen: Labforward, Essentim und NIUB-Nachhaltigkeitsberatung

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